Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame verhaltensbedingte Kündigung einer Warenhausdetektivin wegen unterbliebener Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsperiode
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch die schuldhafte vergeblich abgemahnte Verletzung einer Nebenpflicht kann an sich eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn es dadurch nicht zu einer Störung der Arbeitsorganisation oder des Betriebsfriedens gekommen ist; wenn derartige nachteilige Auswirkungen eingetreten sind, ist das im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen.
2. Die Pflicht zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit besteht auch dann, wenn kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung (mehr) gegeben ist.
3. Die Nichtübersendung von Nachweisen über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsperiode vermag eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen, wenn trotz objektiver Pflichtverletzung seitens der Arbeitnehmerin Zweifel an der Schulhaftigkeit ihres Verhaltens deshalb bestehen, weil ihre Einlassung, dass sie von dem behandelnden Arzt keine "förmlichen" Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr erhalten hat und deshalb davon ausgegangen ist, dass nunmehr eine mündliche Information des Arbeitgebers genügt, vom Arbeitgeber nicht mit durch tatsächlich begründeten Sachvortrag erwidert worden ist.
4. Es ist gerichtsbekannt, dass Ärzte mit Kassenzulassung nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsperiode keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr ausstellen.
5. Dem Arbeitgeber ist es zuzumuten, eine pflichtwidrig unterlassene Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsperiode durch das mildere Mittel einer (erneuten) Abmahnung zu beantworten und dadurch der Arbeitnehmerin deutlich zu machen, dass diese auch nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsperiode gehalten ist, die Fortdauer ihrer Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigungen nachzuweisen; sind allerdings die behandelnden Ärzte nach den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung nicht befugt, nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsperiode weiterhin das hierfür vorgegebene Formular ("gelber Schein") zu verwenden, auf das sich eine bereits erteilte Abmahnung ("Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung") bezieht, ist der Arbeitgeber gehalten, die Arbeitnehmerin vor einer Kündigung darauf hinzuweisen, dass sie durch Vorlage anderweitiger, formloser Bescheinigungen ihres Arztes oder aber zumindest durch Übersendung der von diesem ausgestellten Auszahlungsscheine in Kopie weiterhin ihre Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen hat.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, § 9 Abs. 1 S. 2; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2; BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 28.08.2014; Aktenzeichen 5 Ca 3473/13 NMB) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 28.08.2014 - 5 Ca 3473/13 NMB - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 02.12.2013 aufgelöst worden ist.
Der Auflösungsantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung sowie eines hilfsweise gestellten Auflösungsantrages.
Die Klägerin ist seit 01.01.2012 bei dem Beklagten als Warenhausdetektivin mit einem Einsatzgebiet im Raum S (B) beschäftigt. Die Rechtsbeziehungen der Parteien bestimmen sich nach dem Arbeitsvertrag vom 01.01.2012 (Bl. 6 ff. d.A.).
Der Beklagte, der regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 02.12.2013 (Bl. 4 d.A.) ordentlich zum 31.12.2013 und stützt diese Kündigung auf die wiederholte Nichtvorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (im Folgenden: AUB) seitens der Klägerin.
Die Klägerin war seit 13.09.2013 arbeitsunfähig erkrankt. Sie hatte dies zunächst für den Zeitraum bis zum 27.09.2013 ordnungsgemäß durch Vorlage von AUB'en gegenüber dem Beklagten nachgewiesen. Für den Zeitraum 26.09. bis 04.10. 2013 hat der Beklagte jedenfalls am 10.10.2013 eine AUB erhalten, nachdem er zuvor wegen Nichtübersendung derselben die Klägerin mit Schreiben vom 04.10.2013 (Bl. 86 d.A.) abgemahnt hatte. Ob die Klägerin für den Zeitraum 05.10. bis 09.10.2013 dem Beklagten eine weitere AUB übersandt und ob er diese erhalten hat, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig liegen jedoch dem Beklagten AUB'en für den Zeitraum 10.10. bis 18.10. und für den 21.10.2013 vor. Wiederum streitig ist, ob der Beklagte für den Zeitraum 13.11. bis 20.11.2013 eine AUB erhalten hat. Wie zwischen den Parteien im Verlauf des erstinstanzlichen Rechtsstreits unstreitig geworden ist, hat die Klägerin für den nachfolgenden Zeitraum bis zum Ausspruch der Kündigung am 02.12.2013 an den Beklagten keine AUB'en mehr übersandt, weil die Entgeltfortz...