Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Beteiligung des Integrationsamts vor der Kündigung eines Beschäftigten. Keine Beteiligung des Integrationsamts bei fehlender oder noch nicht festgestellter Schwerbehinderteneigenschaft. Offenkundigkeit einer Schwerbehinderung. Keine Offenkundigkeit einer Schwerbehinderung bei erlittenem Schlaganfall. Kein erweiterter Kündigungsschutz durch § 22 AGG
Leitsatz (redaktionell)
Die Vorschrift des § 15 AGG gewährt nicht etwa einen erweiterten Kündigungsschutz für den durch das AGG geschützten Personenkreis oder kodifiziert einen unabhängig von §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz bestehenden Abfindungsanspruch, sondern soll lediglich für den Fall der Kausalität des Diskriminierungsmerkmals für eine Benachteiligung einen Entschädigungsanspruch gewähren.
Orientierungssatz
Orientierungssatz
1. Ist zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers weder offenkundig noch festgestellt, ist der Arbeitgeber nicht gehalten ein Verfahren nach §§ 168, 170 SGB 9 2018 einzuleiten.
2. Nach § 173 Abs 3 SGB 9 2018 finden die Vorschriften über den besonderen Kündigungsschutz keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft noch nicht nachgewiesen war oder eine Entscheidung des Versorgungsamtes wegen mangelnder Mitwirkung nicht getroffen werden konnte.
3. Selbst wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, dass der Arbeitnehmer einen Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung erlitten hat, wird dadurch nicht zugleich offenkundig, dass es hierdurch zukünftig zu Beeinträchtigungen kommen wird, die faktisch zu einer Schwerbehinderung führen.
4. Für die Annahme einer Offenkundigkeit, kommt es nicht nur auf den Umstand der Behinderung als solches, sondern auch deren Schwere nach dem Grad der Behinderung an.
5. Es wird ausdrücklich offengelassen, ob das Unterlassen eines Präventionsverfahrens gemäß § 167 ff. SGB 9 2018 ein hinreichendes Indiz im Sinne des § 22 AGG darstellt.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 1-2, § 7 Abs. 1, §§ 22, 1; SGB IX § 2 Abs. 3, § 151 Abs. 1, 3, §§ 168, 170, 173 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Dessau (Entscheidung vom 27.11.2018; Aktenzeichen 8 Ca 119/18) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 27.11.2018 - Az.: 8 Ca 119/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
Der Kläger war auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 01.06.2012, zuletzt geändert mit Vertrag vom 01.01.2015 (Bl. 8 ff. der Akte), als Hausmeister im Betrieb der Beklagten beschäftigt und wurde an der Grundschule K in P eingesetzt. Dabei bezog er zuletzt einen durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst i.H.v. 1.037,23 €.
Der Kläger war seit dem 11.02.2018 arbeitsunfähig und wird durch die Betreuerin Frau S, die nach den am 02.03.2018 ausgestellten Ausweis (Bl. 12 der Akte) zunächst als vorläufige Betreuerin bestellt war, vertreten.
Mit Schreiben vom 14.02.2018 hat die Stadtverwaltung der L den Vertrag, auf dessen Grundlage der Kläger in der Grundschule in P beschäftigt wurde, zum 30.04.2018 gekündigt. Wegen des Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 63 der Akte ergänzend Bezug genommen.
Am 12.02.2018 hat die nunmehrige Betreuerin des Klägers mit Personen aus dem Betrieb des Beklagten telefoniert, wobei der Inhalt des Telefonats zwischen den Parteien im Einzelnen streitig ist. Auf jeden Fall wurde in der Folge der Schlüssel für die Schule, in der der Kläger tätig war, durch einen Beauftragten des Beklagten abgeholt.
Mit Schreiben vom 29.03.2018, das bei der damals noch vorläufigen Betreuerin des Klägers am 31.3.2018 eingegangen ist, erklärte der Beklagte die Kündigung des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages, wobei in dem Schreiben der Beklagte als Herr S bezeichnet wurde. In dem Schreiben heißt es ferner:
"Die H kündigt das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30.04.2018, da uns der Auftraggeber den Hausmeisterauftrag gekündigt hat."
Wegen des Wortlauts des Schreibens im Übrigen wird auf Bl. 15 der Akte ergänzend Bezug genommen.
Daraufhin wandte sich die Betreuerin des Klägers an den Beklagten, wies auf den falsch geschriebenen Namen hin, wobei der weitere Inhalt dieses Gespräches zwischen den Parteien streitig ist.
Ein im Übrigen mit dem obigen Schriftstück gleichlautendes Schreiben, in dem der Name des Klägers richtig "S" geschrieben ist, ging der Betreuerin am 04.04.2018 zu.
Der Antrag des Klägers auf Anerkennung als Schwerbehinderter ist beim Landesverwaltungsamt am 17.10.2018 eingegangen. Der Kläger ist seit dem 17.10.2018 zunächst mit Wirkung bis zum Oktober 2020 als Schwerbehinderter anerkannt.
Ein beim Arbeitsgericht Dessau-Roßlau anhängiger Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Kündigung wurde zwischenzeitlich durch einen Vergleich erledigt.
Der Kläger behauptet, er habe am 11.02.2018 einen Sch...