Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Erfolgsaussichten. Beurteilung. Zeitpunkt
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Kläger von den Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Klageerhebung von Anfang an ohne Erfolgsaussicht war, erst nach Klageerhebung durch die Stellungnahme der Gegenseite Kenntnis erlangt, ist auch erst von diesem Zeitpunkt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu versagen. Das ergibt eine verfassungskonforme Auslegung des § 114 ZPO. Andernfalls würden die Rechte des Antragstellers aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.
Normenkette
ZPO § 114; GG Art. 3
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Beschluss vom 01.06.2004; Aktenzeichen 3 Ca 1594/04) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 01.06.2004 aufgehoben.
Dem Arbeitsgericht wird aufgegeben, nach Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts über den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung von Rechtsanwalt S…, L. erneut zu entscheiden.
Tatbestand
I.
Der Kläger hat am 11.05.2004 Kündigungsschutzklage und Klage auf Weiterbeschäftigung erhoben und zugleich beantragt, ihm Rechtsanwalt S. als Anwalt beizuordnen.
Die Beklagte hat sich vor dem Gütetermin schriftsätzlich nicht geäußert. Im Gütetermin hat der Geschäftsführer der Beklagten zu der wirtschaftlichen Auftragslage der Beklagten vorgetragen.
Das Arbeitsgericht hat daraufhin im Gütetermin den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurückgewiesen. Die Parteien haben sodann einen Vergleich geschlossen durch den das Arbeitsverhältnis fristgemäß gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1.000,00 EUR beendet worden ist.
Gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe richtet sich die am 06.07.2004 beim Arbeitsgericht eingegangene „Beschwerde”. Der Kläger wendet sich gegen die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass sein Antrag mutwillig sei und keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestünden. Erst in der Güteverhandlung habe überhaupt erst sich die dort stellende Frage beantwortet werden können, ob die „weitere” Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg biete. Zumindest für die Klageerhebung und den abgeschlossenen Vergleich sei Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 17.06.2004 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und dies damit begründet, dass für die Beurteilung der Erfolgsaussichten es entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf die Klagerhebung, sondern auf den Zeitpunkt der Stellungnahme des Antragsgegners ankomme. Der geschlossene Vergleich rechtfertige nicht die Annahme, es hätten ausreichende Erfolgsaussichten bestanden.
Der Kläger hat noch durch Schriftsatz vom 19.07.2004 vorgetragen und insbesondere die Auffassung vertreten, dass ihm für die Einlegung der Klage, also die Prozessgebühr, Prozesskostenhilfe zu bewilligen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO). In der Sache ist sie auch gerechtfertigt, soweit Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Klageerhebung und den abgeschlossenen Vergleich gefordert wird.
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu Unrecht in vollem Umfang wegen mangelnder Erfolgsaussichten verweigert. Es hat die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überdehnt.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestanden jedenfalls im Zeitpunkt der Klageerhebung hinreichende Erfolgsaussichten (§ 114 ZPO). Das ist auch zugunsten des Klägers zu berücksichtigen (1.). Außerdem war für den Vergleichsabschluss Prozesskostenhilfe zu bewilligen (2.).
1. Das Arbeitsgericht ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass grundsätzlich die Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung erst nach erfolgter Stellungnahme der Gegenseite zu beurteilen sind (sog. Bewilligungsreife). Ergibt die Stellungnahme, dass die Klageerhebung von Anfang an ohne Erfolgsaussichten war, weil dem Kläger oder seinem Prozessbevollmächtigten die Tatsachen, aus denen sich das ergibt, bereits bei Klageerhebung bekannt waren, ist Prozesskostenhilfe in vollem Umfang zu verweigern. Hat der Kläger hingegen erst nach Klageerhebung durch die Stellungnahme der Gegenseite von diesen Tatsachen erlangt, ist erst von diesem Zeitpunkt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu versagen. Das ergibt eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift. Andernfalls würden die Rechte des Antragstellers aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt (s. hierzu den Beschluss des LAG Schleswig-Holstein vom 27.10.2003 – 1 Ta 116/03 –). Im vorliegenden Fall bedeutet dass, dass die Prozesskostenhilfe dem Kläger nur dann in vollem Umfang hätte verweigert würden dürfen, wenn das Vorbringen des Geschäftsführers im Gütetermin der Klägerseite bereits bei Klageerhebung bekannt war. D...