Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Prozesskostenbewilligung bei grob fahrlässiger Versäumung der Mitteilung einer Anschriftenänderung nach Umzug
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zur Frage, wann die unterlassene Mitteilung einer Anschriftenänderung grob fahrlässig ist und die Aufhebung der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe begründen kann.
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO hat die Partei dem Gericht innerhalb des vierjährigen Zeitraums nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens (§ 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO) jede Änderung ihrer Anschrift unverzüglich mitzuteilen; gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
2. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn die Partei ihre Pflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat, indem sie jede prozessuale Sorgfalt unterlassen und die im Prozess erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich groben Maße verletzt hat; dass im Falle eines Umzugs die eine oder andere Stelle bei der Mitteilung der Anschriftenänderung übersehen wird, ist ein weit verbreiteter Umstand.
3. Die Partei verletzt ihre Mitwirkungspflichten zumindest grob fahrlässig, wenn sie relativ kurzfristig nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ohne weitere Mitteilung an das Gericht umzieht und damit die im Vordruck enthaltenen Belehrungen nicht ernst nimmt, obwohl die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erst im Beschwerdeverfahren erfolgreich und damit auch für die Partei erkennbar war, dass die Vorschriften zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe vom Arbeitsgericht sorgfältig geprüft werden und eine Bewilligung keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist.
Normenkette
ZPO § 120a Abs. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 4, § 120a Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 23.06.2015; Aktenzeichen 2 Ca 539/14) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 23.06.2015 - 2 Ca 539/ 14 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der ihm bewilligten Prozesskostenhilfe.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht Lübeck ein Kündigungsschutzverfahren geführt, das durch Vergleich vom 04.03.2014 beendet wurde.
Mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 24.04.2014 ist dem Kläger auf seine sofortige Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck Prozesskostenhilfe für diese Kündigungsschutzklage bewilligt worden. Im Rahmen der Überprüfung nach § 124 Abs. 1 ZPO hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Kläger bereits am 01.07.2014 seine Anschrift geändert hat, ohne dies dem Arbeitsgericht mitzuteilen. In seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war er auf diese Verpflichtung zur Änderung der Anschrift ausdrücklich hingewiesen worden.
Nach Anhörung des Klägers, der keine Stellungnahme abgab, hob das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 23.06.2015 die Prozesskostenhilfebewilligung gemäß § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO auf. Der Beschluss wurde beim Arbeitsgericht am 24.06.2015 in den Postlauf gegeben.
Am 24.07.2015 ist beim Arbeitsgericht ein Rechtsmittel eingegangen, das vom Arbeitsgericht als sofortige Beschwerde ausgelegt worden ist. In dem Schreiben wurde angekündigt, eine Begründung nachzureichen. Eine solche Begründung ging innerhalb der vom Arbeitsgericht bis zum 07.09.2015 gesetzten Frist nicht ein, so dass das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 22.10.2015 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Das Landesarbeitsgericht hat erneut Gelegenheit gegeben, die sofortige Beschwerde noch bis zum 30.11.2015 zu begründen. Ein Eingang beim Landesarbeitsgericht ist nicht erfolgt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.
II.
Die statthafte, form- und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die dem Kläger bewilligte Prozesskostenhilfe zu Recht aufgehoben.
1. Gemäß § 120 a Abs. 2 S. 1 ZPO hat die Partei dem Gericht innerhalb des vierjährigen Zeitraums nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens (§ 120 a Abs. 1 S. 4 ZPO) jede Änderung ihrer Anschrift unverzüglich mitzuteilen. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Voraussetzung für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ist somit, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht absichtlich oder auf grober Nachlässigkeit beruhte.
a) Im Gegensatz zu der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung des § 124 Abs. 1 ZPO a. F. hat der Gesetzgeber die ab dem 01.01.2014 geltende neue Fassung des § 124 Abs. 1 ZPO als Sollvorschrift konzipiert. Zw...