Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheit. Ablehnung. Voreingenommenheit. Kollegialitätsverhältnis. Beziehungen, beruflich, privat, näher. ehrenamtlicher Richter. Berufsrichter. Arbeitsgericht. Zusammenarbeit, punktuell. Richterablehnung wegen Befangenheit
Leitsatz (amtlich)
Der Umstand allein, dass eine Prozesspartei dem aus mehreren Kammern bestehenden erkennenden Gericht als ehrenamtlicher Arbeitsrichter angehört, berechtigt weder zur Ablehnung des berufsrichterlichen Vorsitzenden der für den Prozess zuständigen Kammer wegen Befangenheit, noch zur Ablehnung aller übrigen Berufsrichter dieses Gerichts.
Sporadische, zufällige und ständig wechselnde oder gar nur theoretisch mögliche kollegiale Zusammenarbeit eines ehrenamtlichen Richters mit einem berufsrichterlichen Vorsitzenden desselben aus mehreren Kammern bestehenden Arbeitsgerichts stellt – ohne besondere weitere Umstände – keinen objektiven Anhaltspunkt für ein begründetes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Berufsrichters dar.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 2, § 44; ArbGG § 49 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Aktenzeichen 4 Ca 1972 b/06) |
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der beklagten … gegen den Richter am Arbeitsgericht … als Vorsitzenden der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Lübeck sowie alle weiteren Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts Lübeck, in deren Kammern der Kläger als ehrenamtlicher Richter tätig war oder sein wird, wird als unbegründet zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist seit vielen Jahren Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Schleswig-Holstein. Er ist seit 1995 freigestelltes Personalratsmitglied und auch freigestelltes Mitglied des Bezirkspersonalrats. Der Kläger ist zudem bei dem Arbeitsgericht Lübeck zum ehrenamtlichen Richter berufen. Er klagt nunmehr in einem Rechtstreit vor dem Arbeitsgericht Lübeck gegen die beklagte … als seinen Arbeitgeber auf fiktive Übertragung einer im Einzelnen benannten Tätigkeit und entsprechende Vergütung, gestützt auf § 46 Abs. 3 S. 6 BPersVG.
Das Arbeitsgericht Lübeck ist derzeit mit 145 ehrenamtlichen Richtern (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite) sowie fünf Berufsrichtern ausgestattet. Der Geschäftsverteilungsplan sieht keine Zuweisung von ehrenamtlichen Richtern ausschließlich an eine Kammer oder mehrere bestimmte Kammern vor. Die Zuteilung der ehrenamtlichen Richter erfolgt nach einer im Geschäftsverteilungsplan festgelegten alphabetisch geführten Heranziehungsliste in chronologischer Reihenfolge der anberaumten Sitzungen aller Kammern, ausgerichtet am jeweiligen konkreten Sitzungsbedarf. Ist die Liste erschöpft, wird wieder von vorne begonnen. Der Jahreswechsel hat keinen Einfluss auf die Heranziehungsreihenfolge. Herangezogen werden immer die ehrenamtlichen Richter (Arbeitgeber/Arbeitnehmer), die auf der Heranziehungsliste jeweils zuvorderst stehen.
Der Rechtsstreit des Klägers ist laut Geschäftsverteilungsplan der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Lübeck zugeordnet. Die beklagte … hat den Vorsitzenden der 4. Kammer sowie alle weiteren Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts Lübeck wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil der Kläger deren ehrenamtlicher Beisitzer sei und als Arbeitsrichter mit den erkennenden Berufsrichtern in ständigem Rechtsverkehr stehe.
Entscheidungsgründe
II.
A.
Die Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergibt sich aus § 49 Abs. 2 ArbGG.
Das Ablehnungsgesuch ist zulässig. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Ablehnung hat der Vorsitzende Richter der 4. Kammer nicht festgestellt. Das ergibt sich aus seiner den Parteien übermittelten Erklärung vom 17.08.2006 (Bl. 25 d. A.).
Die Voraussetzungen des § 44 ZPO liegen vor. An sich ist zwar nur die Ablehnung eines einzelnen Richters wegen eines bestimmten Grundes zulässig. Hier liegt jedoch der individuelle Grund der abgelehnten ganzen Berufsrichterschaft des Arbeitsgerichts Lübeck darin, dass jeder einzelne Berufsrichter als Mitglied eines Spruchkörpers, zu dem der Kläger als ehrenamtlicher Richter gehören kann, dann an einer Kollegialentscheidung mit diesem mitwirkt.
Sämtliche abgelehnten Richter des Arbeitsgerichts Lübeck haben auch eine dienstliche Äußerung abgegeben, die den Parteien mit Verfügung vom 18.09.2006 zur Kenntnis gebracht wurden. Damit ist Weg zu einer inhaltlichen Entscheidung über das Gesuch eröffnet.
B. Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet.
1.
Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Der Begriff der Besorgnis der Befangenheit erfordert, dass bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise die Partei befürchten kann, dass der Richter nicht unparteiisch entscheiden werde (allgemeine Meinung, vgl. nur BVerwG vom 11.06.1970, BVerwGE 35, 253; BGH vom 18.04.1980 – BGHZ 77, 72; Germelmann, Matthes, Prütting, Müller-Glöge, Kommentar zum ArbGG, Rd.-Ziff. 18 zu § 49 m. w. N, vgl. auch Baumb...