Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbstablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit wegen Doppelfunktion
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tätigkeit eines ehrenamtlichen Richters in einem Spruchkörper kann zu einer berechtigten Selbstablehnung eines Vorsitzende einer Kammer des Arbeitsgerichts führen. Die Mitgliedschaft in einem Spruchkörper führt regelmäßig zu einer persönlichen Beziehung der Richterinnen und Richter in einem Kollegialgericht, die den Eindruck entstehen lassen kann, es werde nicht unbefangen entschieden. Unerheblich ist, ob und wie häufig das Kollegialgericht in der Zusammensetzung bereis verhandelt hat.
2. Jedenfalls bei sehr kleinen gerichtlichen Einheiten gilt das auch, wenn die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter keiner festen Kammer zugeordnet sind.
Normenkette
ArbGG § 49 Abs. 2; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 1, § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Hameln (Entscheidung vom 07.06.2024; Aktenzeichen 1 BV 5/24) |
Tenor
1.
Die Selbstanzeigen des Direktors des Arbeitsgerichts Hameln R. vom 07.06.2024 und des Richters am Arbeitsgerichts H. vom 11.06.2024 sind begründet.
2. Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Hannover bestimmt.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens sind die Selbstablehnungszeigen der beiden Richter des Arbeitsgerichts Hameln. Das Arbeitsgericht Hameln besteht aus drei Kammern, von denen die zweite Kammer seit vielen Jahren nicht besetzt ist. Bei dem Arbeitsgericht sind die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter keiner bestimmten Kammer zugeordnet. Sie werden gemäß Geschäftsverteilungsplan alphabetisch von der Liste nacheinander geladen und können sowohl der ersten als auch der dritten Kammer zugeteilt werden.
Am 04.06.2024 ging beim Arbeitsgericht Hameln ein Antrag auf Einleitung eines Beschlussverfahrens ein. Gegenstand des Beschlussverfahrens ist ein Antrag auf Ausschließung des Beteiligten zu 2) und Betriebsratsmitglieds C. aus dem Betriebsrat der Antragstellerin. Das Betriebsratsmitglied C. ist seit 01.01.2024 in das Amt eines ehrenamtlichen Richters beim Arbeitsgericht Hameln berufen. Mit Verfügung vom 07.06.2024 zeigte der Vorsitzende der ersten Kammer, der Direktor des Arbeitsgerichts an, dass er sich wegen einem besonderen Näheverhältnis zwischen ihm und dem Beteiligten zu 2. ablehne. Gerade bei kleinen Gerichten bestehe zu den ehrenamtlichen Richtern ein engeres Kollegialitätsverhältnis, so dass zumindest der Anschein erweckt werden könnte, dass keine unabhängige Entscheidung getroffen werde. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es in dem streitigen Verfahren um die persönliche kollektivrechtliche Stellung des betroffenen ehrenamtlichen Richters als Betriebsratsmitglied gehe. Mit Verfügung vom 11.06.2024 erstattete der Vorsitzende der 3. Kammer aus denselben Gründen Selbstanzeige wegen der Besorgnis der Befangenheit. Mit Verfügung vom 24.06.2024 wurde die Akte zur Entscheidung über die Selbstablehnungen und Bestimmungen eines zuständigen Gerichts an das Landesarbeitsgericht übersandt.
II.
1.
Für die Entscheidung über die Selbstanzeigen wegen des Besorgnis der Befangenheit ist gemäß § 49 Abs. 2 ArbGG das Landesarbeitsgerichts zuständig. Durch die Selbstanzeigen beider Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts ist kein Berufsrichter mehr verfügbar, unter dessen Vorsitz über die Selbstanzeigen hätte entschieden werden können. Durch das Landesarbeitsgericht ist über so viele Selbstanzeigen zu entscheiden, bis die Beschlussfähigkeit des Arbeitsgerichts wiederhergestellt ist (vgl. zur vergleichbaren Regelung § 45 Abs. 3 ZPO BVerwG vom 27.07.2012 - 2 AV 5/12 Rn. 7; Stein/Jonas, Borck § 45 ZPO Rd-Nr. 3; LAG Baden- Württemberg - 1 SHa 42/19 vom 27.11.2019 Rd-Nr. 16).
2.
Die Selbstanzeige der Vorsitzenden der 3. Kammer, der über die Selbstanzeige des Vorsitzenden der 1. Kammer zu entscheiden hat, ist begründet.
a.
Nach § 48 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuch zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein Richter von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen liegen vor, wenn eine Partei von ihrem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden.
Es muss die Befürchtung bestehen, dass der abgelehnte Richter in der Verhandlung und Entscheidung des anstehenden Falls sachfremde, unsachliche Momente mit einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falls und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob aus der Sicht der Parteien genügend objektive, d. h., nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines v...