Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bedienungsfehler beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA)
Leitsatz (amtlich)
Zur Glaubhaftmachung des "Spontanversagens" des beA bei der Ermittlung des Sendungsempfängers und dem (Miss-)Erfolg eines damit begründeten Wiedereinsetzungsantrags.
Leitsatz (redaktionell)
1. Einer Partei ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Dem Verschulden der Partei steht das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gleich.
2. Ergibt sich aus dem Sachvortrag des Antragstellers, dass ein Fehler in der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) an das Gericht vorliegen könnte, kann ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten dahingehend vorliegen, dass er nicht rechtzeitig Vorsorge getroffen hat, dass der Versand des Schriftsatzes und sein Zugang bei Gericht am letzten Tag der Frist gewährleistet waren. Der Vortrag eines vorübergehend aufgetretenen Softwarefehlers ("Spontanversagen") überzeugt dann nicht. Näherliegend dürfte die Vermutung eines Bedienungsfehlers des beA bei der Eingabe sein.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 233 S. 1, § 236 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 05.11.2020; Aktenzeichen 2 Ca 1382/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 05.11.2020 - 2 Ca 1382/20 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Parteien führen einen Kündigungsschutzprozess.
Gegen das ihr am 25.11.2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 21.12.2020 Berufung eingelegt. Nach einem Wechsel in der Person des Prozessbevollmächtigten ist die Frist zur Begründung der Berufung auf dessen Antrag bis zum 25.02.2021 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist im elektronischen Rechtsverkehr am 26.02.2021 um 0:23 Uhr auf dem Server des Landesarbeitsgerichts eingegangen. Auf den Hinweis des Landesarbeitsgerichts vom selben Tag auf den Ablauf der Begründungsfrist hat die Klägerin am 04.03.2021 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, den sie wie folgt begründet:
Es sei vorliegend unvermeidlich gewesen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Schriftsatz erst kurz vor Fristablauf habe fertigstellen können. Dieser habe den Fall erst bearbeiten können, nachdem er am 25.01.2021 Einsicht in die ca. 200 Seiten umfassende Gerichtsakte habe nehmen können, der vormalige Prozessbevollmächtigte habe nur unvollständige Unterlagen übermittelt. Er habe umfangreiche Recherchen betreiben müssen, was auch durch den Umfang der Berufungsbegründung belegt werde. Der Schriftsatz sei daher "grob finalisiert" am Abend des 25.02.2021 erstellt und um 23:24 per E-Mail an sie - Klägerin - übersandt worden. Im Anschluss seien noch einzelne Korrekturen gefertigt worden, um ca. 23:45 Uhr habe sich der Schriftsatz im Signaturkorb befunden.
Ihr Prozessbevollmächtigter nutze die Software "Advolux". Diese sei direkt mit der Software des beA verbunden. Dokumente würden direkt an beA weitergeleitet und dort empfangen. Die Zustelladresse ermittle beA eigenständig anhand der Adresse im Schriftsatz. Erkenne die Software die Adresse nicht, könnten die Empfängerdaten durch die Eingabe in einem Suchfeld ermittelt werden. Dies erfolge seit Monaten reibungslos. Die Suche des Empfängers über dessen Safe-ID sei nicht möglich. Die Safe-ID des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein sei bei ihr auch nicht bereits dauerhaft hinterlegt gewesen.
Ihr Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz elektronisch signiert. Die Software habe aber dann die Safe-ID des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein nicht ermittelt. Es seien die Adressen anderer Landesarbeitsgerichte vorgeschlagen worden, obwohl Name und Anschrift richtig im Dokument beschrieben worden seien. Der Vorgang sei mehrfach wiederholt worden, indem der Schriftsatz wieder zurück in den digitalen Dokumentenkorb verschoben und dann erneut in den Versand gegeben worden sei. Auch die Ermittlung der Adresse über die manuelle Sucheingabe sei nicht erfolgreich gewesen. Der Versand über beA sei am 25.02.2021 auch bereits ordnungsgemäß erfolgt, sodass es keinen Anlass für die Vermutung gegeben habe, das Gerät werde versagen.
Eine Versendung über die BeA-Client-Security-Software sei nicht möglich gewesen, da ihr Prozessbevollmächtigter nicht über die hierfür notwendige Zugangskarte verfüge. Eine Versendung über andere Rechner der Kanzlei sei nicht möglich gewesen, da ihr Prozessbevollmächtigter auf diese keinen Zugriff habe und sich kein anderer Rechtsanwalt in der Kanzlei befunden habe.
Nach mehreren Versuchen, nach Erinnerung des Prozessbevollmächtigten ca. sieben bis acht, sei dann um 0:15 Uhr die Zustelladresse des Landesarbeitsgerichts erkannt und der Schriftsatz sofort über das beA versendet worden. Eine Verzögerung d...