Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheit. Besorgnis. Verwandtschaft. Prozessbevollmächtigter. Neffe. Onkel
Leitsatz (amtlich)
Die Verwandtschaft eines Richters mit dem Prozessbevollmächtigten einer Partei kann die Besorgnis der Befangenheit begründen. Das gilt auch, wenn der Richter der Onkel des Prozessbevollmächtigten ist.
Als Anhaltspunkt für die Begründung der Besorgnis der Befangenheit können die Vorschriften des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (Aussageverweigerungsrecht) und § 20 Abs. 1 Nr. 3 BRAO (Zulassungsversagung bei einem Gericht) dienen.
Normenkette
ZPO §§ 41-42, 383 Abs. 1 Nr. 3; BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Aktenzeichen 2 Ca 1474/01) |
Tenor
Auf die Anzeige des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Weschenfelder wird festgestellt, dass die Verwandtschaft zum Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine Besorgnis der Befangenheit begründet.
Gründe
Der Vorsitzende der 6. Kammer hat angezeigt, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sein Neffe sei. Die Parteien hatten Gelegenheit, hierzu bis zum 11.12.2001 Stellung zu nehmen.
Auf die Anzeige des Vorsitzenden der 6. Kammer ist festzustellen, dass ein Grund vorliegt, der die Besorgnis der Befangenheit begründet.
Gem. §§ 64 Abs. 7, 49 Abs. 1 ArbGG, § 42 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der den Richter von der Ausübung ausschließt (§ 41 ZPO) oder der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Das Vorliegen derartiger Gründe kann auch von dem betroffenen Richter angezeigt werden, § 48 ZPO.
Ein Grund der Ausschließung vom Richteramt, § 41 ZPO liegt nicht vor, da einer der in § 41 ZPO aufgelisteten Fälle nicht vorliegt. Bei der Aufzählung handelt es sich um eine abschließende.
Jedoch ist die Verwandtschaft des Vorsitzenden Richters zum Prozessbevollmächtigten der Beklagten geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit, § 42 ZPO, zu rechtfertigen. Ob der Richter tatsächlich befangen ist, ist ohne Bedeutung. Maßgeblich ist nur, dass eine Besorgnis dieser Befangenheit bestehen kann. Eine nahe Verwandtschaft kann eine solche Besorgnis begründen (Zöller/Vollkommer, Rn. 13 zu § 42 ZPO).
Bei einem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Onkel und Neffen handelt es sich noch um eine nahe Verwandtschaft. Als Anhaltspunkt kann hier die in § 383 ZPO getroffene Entscheidung über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen und in § 20 BRAO über die Versagung der Zulassung dienen.
Nach § 383 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ist zur Verweigerung des Zeugnisses u.a. berechtigt, wer mit einer Partei in der Seitenlinie bis zum 3. Grad verwandt ist. Ein Neffe ist aber, wie sich aus § 1589 BGB ergibt, in der Seitenlinie im 3. Grad verwandt. Wenn der Gesetzgeber bei der Frage des Zeugnisverweigerungsrechts davon ausging, dass ein Zeuge sich wegen seiner persönlichen Beziehung zu einer Partei belastet sehen und mit seiner Wahrheitspflicht in Konflikt geraten könnte, muss die selbe Wertung für die Frage der Besorgnis der Befangenheit gelten. Zwar handelt es sich bei dem Aussageverweigerungsrecht des § 383 ZPO um ein verzichtbares. Das führt jedoch nicht dazu, dass etwa eine Erklärung des Richters oder seines Verwandten, er fühle sich nicht befangen, die durch die Verwandtschaft begründete Besorgnis ausräumen könnte.
Nach § 20 Abs. 1 Ziff. 3 soll die Zulassung eines Rechtsanwalts bei einem Gericht versagt werden, wenn der Bewerber mit einem Richter dieses Gerichts in der Seitenlinie bis zum 3. Grad verwandt ist. Diese gesetzliche Wertung beruht auf der Annahme, dass bei einem nahen Verwandtschaftsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Richter in jedem Prozess, an dem beide verfahrensmäßig beteiligt sind, die Gegenseite Grund zum Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters haben könnte. Dem soll von vornherein und ohne Rücksicht auf den jeweiligen Einzelfall generell vorgebeugt werden (Schleswig-Holsteinisches OLG Beschluss vom 16.5.2000 – 16 W 100/00 – SchHA 2000,253).
Unterschriften
gez. Willikonsky, gez. Linsker, gez. Vollbrecht
Fundstellen