Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlanfechtung. mehrere Stimmzettel. Anfechtung der Betriebsratswahl. Verwendung mehrerer Stimmzettel
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschlagslisten sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO untereinander auf einem einzigen Stimmzettel aufzuführen. Die Verwendung von mehreren Stimmzetteln, jeweils einen Stimmzettel für jede Vorschlagsliste, führt zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG.
Auf dem Stimmzettel sind die zugelassenen Vorschlagslisten unter Angabe der beiden ersten Listenvertreter aufzuführen. Die Angabe aller Listenbewerber der Vorschlagslisten verstößt gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO und erweist sich als wesentlicher Verfahrensverstoß gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG.
Normenkette
BetrVG § 19 Abs. 1; WahlO § 11 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Beschluss vom 10.12.2010; Aktenzeichen 4 BV 56/10) |
Tenor
1. Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beteiligten zu 3.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10.12.2010, Az.: 4 BV 56/10, werden zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragstellerin bzw. Beteiligte zu 1. (künftig: Gewerkschaft) ist eine im Betrieb der Beteiligten zu 3. (künftig: Arbeitgeberin) vertretene Gewerkschaft. Der Antragsgegner bzw. Beteiligte zu 2. ist der am 08.06.2010 gewählte 29-köpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin bietet Gebäudereinigungsdienstleistungen an und hat ihren Hauptsitz in L.. Daneben unterhält sie bundesweit 18 Filialen. Am 08.06.2010 fand im Betrieb der Arbeitgeberin eine „bundeseinheitliche” Betriebsratswahl für die Legislaturperiode 2010 bis 2014 statt. Ausweislich des zugrundeliegenden Wahlausschreibens vom 27.04.2010 beschäftigte die Arbeitgeberin zu diesem Zeitpunkt insgesamt 4.996 wahlberechtigte Arbeitnehmer, sodass ein 29-köpfiger Betriebsrat zu wählen war. Für die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführte Betriebsratswahl wurden drei Wahlvorschlagslisten zugelassen. Hierbei handele es sich um die Liste 1 mit dem Kennwort „Unabhängiger Betriebsrat”, die Liste 2 mit dem Kennwort „Zukunft” und die Liste 3 mit dem Kennwort „IG Bauen-Agrar-Umwelt”. Der Wahlvorstand fertigte für die Betriebsratswahl drei verschiedene Stimmzettel und zwar jeweils einen Stimmzettel für jede Liste (Bl. 48-50 d. A.). Die Stimmzettel enthielten jeweils in der oberen Zeile das Kennwort nebst ein bzw. zwei Listenvertreterinnen und einem roten Kreis für das Stimmkreuz, darunter folgt die Listennummer sowie mit laufenden Nummern sämtliche Wahlbewerberinnen der jeweiligen Liste. Beim Stimmzettel der Liste 1 waren 30 Bewerber, bei demjenigen der Liste 2 18 Bewerber und demjenigen der Liste 3 16 Bewerber aufgeführt. Am Ende der drei Stimmzettel befand sich in Rot folgender Hinweis:
„Sie haben nur eine Stimme. Entscheiden Sie sich nur für eine Liste und machen Ihr Kreuz in dem dafür vorgesehenen farblich markierten Kreis. Bei mehreren Kreuzen wird der Stimmzettel ungültig.”
Die Betriebsratswahl fand am 08.06.2010 am Hauptsitz der Arbeitgeberin in L. statt. Ausweislich der Wahlniederschrift zur Betriebsratswahl vom 08.06.2010 (Bl. 7 f. d. A.) wurden von insgesamt 638 abgegebenen Wahlumschlägen 132 Stimmen vom Wahlvorstand für ungültig erklärt. Von den gültigen Stimmen entfielen 375 Stimmen auf die Liste 1, 84 Stimmen auf die Liste 2 und 47 Stimmen auf die Liste 3. Nach dem d'Hondtschen Höchstwahlverfahren erhielt die Liste 1 22, die Liste 2 fünf und die Liste 3 zwei Betriebsratssitze. Unter „Besondere Vorkommnisse” ist in der Wahlniederschrift u. a. Folgendes vermerkt:
„Frau W. (Gewerkschaft) bemängelt nach ca. 40 Minuten, dass die persönlichen Erklärungen nicht mit der Wählerliste verglichen und abgehakt wurden. Unverzüglich danach hat der Wahlvorstand dieses korrigiert. Es konnten alle Mitarbeiter/innen zugeordnet werden, außer einer Mitarbeiterin, die zum 31.05.2010 ausgeschieden war. Dadurch wurde das Wahlergebnis aber nicht beeinflusst.”
Von den insgesamt 132 ungültigen Stimmabgaben beruhten 60 auf der fehlerhaften Ausfüllung des Stimmzettels (Bl. 51-110 d. A.), die übrigen ungültigen Stimmabgaben beruhten u. a. auf der fehlerhaften Zusammenstellung der Briefwahlunterlagen im Rücksendeumschlag.
Mit Antragsschrift vom 21.06.2010, beim Arbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, hat die Gewerkschaft die Betriebsratswahl bei „der Firma B.” angefochten.
Die Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten,
der Formverstoß in der Ausfertigung der Stimmzettel entgegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO habe zur Unwirksamkeit der Wahl geführt. Darüber hinaus habe der Wahlvorstand den Betriebsbegriff verkannt. Die Voraussetzungen für die Wahl eines bundeseinheitlichen Betriebsrats lägen nicht vor, insbesondere sei kein Tarifvertrag nach § 3 BetrVG abgeschlossen worden. Bei den Filialen der Arbeitgeberin handele es sich um qualifizierte betriebsratsfähige Betriebsteile, d. h. selbstständige Filialen. Weiterhin sei im Rahmen der öffentlichen Stimmauszä...