Entscheidungsstichwort (Thema)
Gefährdungsbeurteilung und mitbestimmungspflichtiger Gesundheitsschutz. Gefährdungsbeurteilung mit notwendigem Bezug auf konkrete Arbeitsplätze oder Tätigkeiten. Fokussierung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen auf die konkreten betrieblichen Verhältnisse. Teilunwirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Festlegung von Vorgaben zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG handelt es sich um Regelungen zum Gesundheitsschutz i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.
2. Eine Gefährdungsbeurteilung muss hinreichend konkrete Arbeitsplätze betreffen; hierzu können Stellenbeschreibungen hinzugezogen werden. Die Einigungsstelle kann auch selbst festlegen, welche konkreten Arbeitsplätze oder Tätigkeiten mit der Gefährdungsbeurteilung zu untersuchen sind.
3. Soll die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen am Arbeitsplatz untersuchen, genügt es nicht, Mustererhebungsbögen zu verwenden, die keinen Bezug zum Betrieb haben, oder diese erst durch ein Analyseteam auf die betrieblichen Belange des Arbeitgeber anzupassen. Denn das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats soll die Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Betrieb unterstützen, nicht aber allgemeine Erhebungsbögen auf ihre mögliche Eignung für den Betrieb prüfen.
4. Die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung oder eines Spruchs der Einigungsstelle führt nach dem der Vorschrift des § 139 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken nicht zur Unwirksamkeit der Gesamtregelung, wenn der verbleibende wirksame Teil auch ohne die unwirksamen Bestimmungen eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält.
Normenkette
ArbSchG § 5 Abs. 1-2, 3 Nr. 6; BetrVG §§ 76, 87 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 26.04.2017; Aktenzeichen 5 BV 143/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 26.04.2017 - 5 BV 143/16 - teilweise geändert:
Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 8. September 2016 zur "Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen an den Arbeitsplätzen der Pilotprojekte aus dem Teilinteressenausgleich H.O.S. vom 18.04.2008"rechtsunwirksam ist, soweit dort in den Ziffern 4.1., 4.5., 5. und 6. und der Anlage 3 zum Spruch Regelungen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen und den Aufgaben und Befugnissen des "Analyseteams"enthalten sind; im Übrigen wird der Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen.
Die weitergehende Beschwerde der Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG.
Die Beteiligte zu 2. (Arbeitgeberin) stellt in ihrem Betrieb in G... Bremsbeläge für alle großen Fahrzeug- und Bremsenhersteller her.
Anlässlich der Verhandlungen der Arbeitgeberin mit dem Antragsteller (Betriebsrat) über die Einführung des H... Operating Systems (H.O.S.) schlossen die Beteiligten am 18.04.2008 einen Teilinteressenausgleich H.O.S. (Bl. 106 - 111 d. A.), der die Umsetzung wesentlicher Teile dieses H.O.S. in vier Projektbereichen (acht Tätigkeiten/Arbeitsplätze in der Produktion) vorsah. In einer Protokollnotiz vom selben Tag wurde festgelegt, dass bis zum 31.03.2008 eine Vereinbarung über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen an den Arbeitsplätzen der Pilotprojekte durchgeführt werde. Zugleich wurde für den Fall der Nichteinigung die Einsetzung einer Einigungsstelle beschlossen.
Diese Einigungsstelle beschloss am 08.09.2016 durch Spruch eine Betriebsvereinbarung zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung an den Arbeitsplätzen der Pilotprojekte, die auszugsweise lautet:
"... 3. Umfang der Gefährdungsbeurteilung
Durch die Gefährdungsbeurteilung werden die für die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen beurteilt, um ermitteln zu können, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.
3.1 Zu beurteilende Tätigkeiten und Arbeitsplätze/Gleichartige Arbeitsbedingungen
Zu untersuchende Tätigkeiten und Arbeitsplätze im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG sind
Arbeitsort |
Tätigkeit/Arbeitsplatz |
Stellenbeschreibung |
Halle 26 |
Maschinenführer Bandofen14/ 15 und 12 |
Maschinenführer Band Drucksinteröfen |
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Koordinator PM-Sinterbeläge |
Produktion PM-Sinterbeläge Koordinator |
Halle 8 |
Maschinenführer Mischer 4/5 |
Maschinenführer Mischerei |
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Koordinator Mischerei |
Koordinator Mischerei |
Halle 7 |
Maschinenführer LKW Pressen und Endfertigungslinie 3 und 2 |
Maschinenführer FRL, Lkw |
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Koordinator Produktion |
Koordinator |
Halle 61 |
Maschinenführer FL2 Pressen mit Fertigungslinie 2 |
Maschinenführer Produktionslinien Pkw |
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Koordinator Produktion |
Koordinator |
gemäß der jeweils geltenden Stellenbeschreibungen. Die derzeit geltenden Stellenbeschreibungen sind als Anlage 1 beigefügt.
Für die Mitarbeiter bestehen auf den vorgenannten Tätigkeiten/Arbeitsplätzen jewe...