Entscheidungsstichwort (Thema)
Örtliche Zuständigkeit. Zuständigkeitsbestimmungsstreit. Bindungswirkung. Verletzung rechtlichen Gehörs. Bindung an Verweisungsbeschluss
Leitsatz (redaktionell)
Es verstößt grundsätzlich gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn ein Gericht – auch versehentlich – vor Ablauf einer einem Beteiligten gesetzten Äußerungsfrist entscheidet. Ein Gericht muss eine von ihm selbst gesetzte Frist auch dann abwarten, wenn ihm die Sache entscheidungsreif erscheint.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Ziff. 6; ZPO i. V. m. 36 Abs. 2; ArbGG § 46 Abs. 2, § 48 Abs. 1a; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 08.09.2008; Aktenzeichen 3 Ca 1537 c/08) |
Tenor
Als örtlich zuständiges Arbeitsgericht wird das Arbeitsgericht Kiel bestimmt.
Tatbestand
I.
Der Kläger nahm am 01.06.2005 bei der Beklagten ein Arbeitsverhältnis als Raumpfleger auf. Er hat den Arbeitsvertrag in Kiel unterschrieben und war stets in Kiel zur Arbeitsleistung eingesetzt. Das ergibt sich allerdings nicht aus dem zur Akte gereichten Arbeitsvertrag. Die Beklagte betreibt eine Niederlassung in Hamburg. Sie sprach am 05.08.2008 eine Kündigung aus, gegen die der Kläger beim Arbeitsgericht Kiel Kündigungsschutzklage erhob. Angaben zur örtlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kiel enthält die Klage nicht.
Mit am Freitag, den 29. August 2008 zur Post gegebener Verfügung hat das Arbeitsgericht Kiel die Parteien darauf hingewiesen, dass der in der Klagschrift angegebene Sitz der Beklagten zum Arbeitsgerichtsbezirk Hamburg gehört. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche gegeben, worauf sich die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kiel gründe (Bl. 9 d. A.). Das Schreiben wurde der Beklagten am Montag, den 01.09.2008 zugestellt. Mit Datum vom 08.09.2008 – ein Montag – hat das Arbeitsgericht Kiel sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtstreit an das Arbeitsgericht Hamburg verwiesen. Der Beschluss ist am 10.09.2008 ausgefertigt worden. Davor ging in der Nacht vom 08.09.2008 um 22.25 Uhr per Fax die Stellungnahme der Klägervertreterin zur örtlichen Zuständigkeit ein, in der die Anrufung des Arbeitsgerichts Kiel aufrecht erhalten wurde. Es wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen Arbeitsvertrag seinerzeit in Kiel abgeschlossen hat. Für den Fall, dass das Gericht dennoch zu dem Ergebnis gelangen solle, es sei unzuständig, wurde Antrag auf Verweisung an das zuständige Gericht gestellt. (Bl. 13 d. A.).
Das Arbeitsgericht Hamburg hat die Parteien zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 a ArbGG angehört. Die Beklagte hat schriftsätzlich klargestellt, dass der Kläger stets in Kiel eingesetzt wurde. Daraufhin hat sich das Arbeitsgericht Hamburg mit Beschluss vom 16. Oktober 2008 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und dem Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein den Rechtstreit zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts vorgelegt. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, das Arbeitsgericht Kiel sei entgegen seiner ursprünglichen Annahme unter dem Gesichtspunkt des gewöhnlichen Arbeitsortes im Sinne des § 48 Abs. 1a ArbGG von Anfang an örtlich zuständig gewesen. Die Verweisung an das Arbeitsgericht Hamburg sei offensichtlich gesetzwidrig, da der Verweisungsbeschluss bereits vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme erlassen worden sei. Der Beschluss beruhe auf Verletzung rechtlichen Gehörs und gebotener Aufklärungspflicht. Daher sei er offensichtlich gesetzwidrig und ohne Bindungswirkung für das Arbeitsgericht Hamburg. Deshalb sei das wirklich zuständige Gericht zu bestimmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den ausführlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. Oktober 2008 sowie den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts ergibt sich aus §§ 36 Abs. 1 Ziff. 6, 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Arbeitsgericht Kiel und Arbeitsgericht Hamburg haben sich jeweils für örtlich unzuständig erklärt. Das nächst höhere gemeinschaftliche Gericht dieser Arbeitsgerichte wäre das Bundesarbeitsgericht. Daher ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO das zuständige Gericht durch das Rechtsmittelgericht zu bestimmen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
2. Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht Kiel. Dessen Verweisungsbeschluss bindet das Arbeitsgericht Hamburg nicht.
a) Zwar sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtstreit verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Das ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Ziff. 1 ArbGG i. V. m. § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG. Diese bindende Wirkung ist auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Ziff. 6 ZPO zu beachten. Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Regelmäßig ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den er...