REVISION ZUGELASSEN JA

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagebefugnis. Sonderkündigungsschutz. Verfristung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der nach einer fristlosen Kündigung neun Monate wartet, bevor er die Kündigungsschutzklage erhebt, hat seine Klagebefugnis verwirkt, sofern neben dem Zeitablauf besondere Umstände vorliegen, aus denen sich für den Arbeitgeber der Vertrauenstatbestand ergibt, daß die Kündigungsschutzklage nicht (mehr) erhoben wird.

 

Normenkette

KSchG §§ 4, 13

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Urteil vom 15.05.1986; Aktenzeichen 1c Ca 1982/84)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 15.05.1986 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung bzw. Aufhebungsvertrag und begehrt von der Beklagten Wiedereinstellung.

Für den Sach- und Streitstand in erster Instanz wird gemäß § 543 ZPO auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 15.05.1986 nebst seinen Verweisungen Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien zwar nicht durch die –wegen fehlender Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gemäß den §§ 12 SchwbG, 134 BGB nichtige– Kündigung der Beklagten gemäß Schreiben vom 12.01.1984 beendet worden sei, wohl aber durch den Aufhebungsvertrag der Parteien vom 30.01.1984. Eine Anfechtung dieses Vertrages gemäß den §§ 119, 123 BGB komme nicht in Betracht.

Gegen dieses ihm am 02.06.1986 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.07.1986 Berufung eingelegt und diese, nachdem die Berufungsbegründungsfrist am 31.07. bis zum 07.08. verlängert worden war, am 07.08.1986 begründet.

Der Kläger trägt vor:

Die Auffassung des erstinstanzlichen Urteils, nach der der Aufhebungsvertrag weder wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB noch aus dem Gesichtspunkt der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB anfechtbar sei, sei fehlerhaft, weil Tatsachen außer Acht gelassen worden seien, die die Annahme eines Anfechtungsrechts des Klägers rechtfertigten. Der zweckbestimmte Arbeitsvertrag sei dem Kläger mit dem Hinweis „untergeschoben” worden, daß der Vertrag inhaltlich den zuvor zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten getroffenen mündlichen Abmachungen entspreche. Bei dieser Absprache sei aber keine Rede davon gewesen, daß im Falle einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch einen zweckbestimmten Arbeitsvertrag der weitreichende Schwerbehindertenschutz entfallen würde. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger, der immerhin seit knapp 30 Jahren im Betrieb der Beklagten beschäftigt war und aufgrund seines Alters und seiner Schwerstbeschädigung keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt haben würde, die von ihm ungelesene –und im Hinblick auf den Verlust des Kündigungsschutzes auch nicht verstandene– Erklärung in dem zweckbestimmten Arbeitsvertrag gegen sich gelten lassen wolle. Dem Umstand, daß der zweckbestimmte Arbeitsvertrag von der Beklagten ohne Veranlassung durch den Kläger gelöst worden sei, komme die rechtliche Wirkung zu, daß der Beklagten eine Berufung auf den durch die Aufhebungsvereinbarung bedingten Verlust des Kündigungsschutzes nach dem Schwerbehindertengesetz aus dem Gesichtspunkt treuwidrigen Verhaltens in analoger Anwendung des § 162 BGB in jedem Fall verwehrt sei und der zuvor bestehende Kündigungsschutz des Klägers gemäß § 12 SchwbG mithin fortbestehe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 15.05.1986 abzuändern und

  1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 12.01.1984 ausgesprochene fristlose Kündigung nicht aufgelöst ist,
  2. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger mit rückwirkender Kraft wieder einzustellen,

    hilfsweise zu 2.,

    die Beklagte zu verpflichten, den Kläger mit sofortiger Wirkung wieder einzustellen,

  3. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die seit dem 12.01.1984 zustehenden Lohnrückstände abzüglich der auf das Arbeitsamt übergegangenen Ansprüche nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Für eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch der Kündigung sei die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht erforderlich. Der Kläger sei bei Abschluß des zweckbestimmten Arbeitsvertrages auch nicht „überrumpelt” worden; er habe vielmehr ausreichend Zeit gehabt, sich den Vertrag vor der Unterschrift durchzulesen. Entscheidend sei jedoch, daß die Klage allein deswegen abzuweisen sei, weil der Kläger sein Recht verwirkt habe, sich auf die angebliche Nichtigkeit der Kündigung zu berufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszuge wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitend gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist der Beschw...

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