Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollzeitarbeitsverhältnis eines nicht programmgestaltenden Kameramanns für Nachrichtenbeiträge einer Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätzlich bestimmt sich die Frage, welcher Vertragstyp vorliegt, nach dem wirklichen Geschäftsinhalt; Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste anderer zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.
2. Diese Grundsätze sind auch im Bereich Funk und Fernsehen anzuwenden, wobei der verfassungsrechtliche Schutz der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu beachten ist.
3. Die Rundfunkfreiheit erstreckt sich auf das Recht der Rundfunkanstalten, dem Gebot der Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte auch bei der Auswahleinstellung und Beschäftigung derjenigen Beschäftigten Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung der Programme mitwirken sollen; programmgestaltend sind diejenigen, die an Hörfunk und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mitwirken.
4. Nicht zu den programmgestaltenden Beschäftigten gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie diejenigen, die zwar bei der Verwirklichung des Programms mitwirken, aber keinen inhaltlichen Einfluss darauf haben; auch bei programmgestaltenden Beschäftigten kann entgegen der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehend inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit verbleibt und der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich zugewiesen werden.
5. Bei nichtprogrammgestaltenden Beschäftigten von Rundfunkanstalten ist die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien zu prüfen; auch sie können je nach Lage des Falls freie Mitarbeiter sein.
6. Auch bei Aufnahme in einen Kreis immer wieder beschäftigter oder zur Verfügung stehender Personen ("Pool") kann trotz anfänglicher beiderseitiger Unverbindlichkeit ein Dauerarbeitsverhältnis entstehen; ein Dauerarbeitsverhältnis kann auch dann entstehen, wenn den Einsätzen jeweils telefonische Anfragen, ob der Mitarbeiter zur Verfügung steht, vorausgehen, was jedenfalls dann gilt, wenn der Arbeitgeber auf diese Weise keinen Spitzen- oder Saisonbedarf sondern einen Dauerbedarf an Arbeitskräften abdeckt, er also auf Dauer mehr Arbeitnehmer benötigt als er unbefristet eingestellt hat.
7. Ein Dauerarbeitsverhältnis setzt voraus, dass der einzelne Arbeitnehmer häufig und ohne größere Unterbrechungen herangezogen wird und er von seinem Ablehnungsrecht regelmäßig keinen Gebrauch macht, so dass er darauf vertrauen kann, auch in Zukunft herangezogen zu werden.
8. Ist zwischen den Parteien nicht ausdrücklich ein Arbeitsvertrag geschlossen worden, kann für die Bestimmung der regelmäßigen vertraglichen Arbeitszeit auf das gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens abgestellt werden; liegt der Beurteilung eine mehrjährig übereinstimmende und ohne entgegenstehende Bekundungen geübte Vertragspraxis zugrunde, entspricht die Referenzmethode am ehesten dem durch tatsächliche Befolgung geäußerten Parteiwillen, da sie die Überbetonung von auf Zufälligkeiten beruhenden Ausschlägen nach oben und unten vermeidet.
9. Wirkt ein Kameramann an den Fernsehbeiträgen, an denen er beteiligt ist, nicht inhaltlich gestaltend mit, und bringt er insbesondere nicht seine eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen oder besondere Fachkenntnisse und Informationen oder eine individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendung ein, sondern ist seine Tätigkeit durch die Erstellung von Kameraaufnahmen für kurze Nachrichtenbeiträge in einzelnen Sendungen geprägt, die jeweils einer bestimmten vorgegebenen Struktur und Erzählweise entsprechen, handelt es sich um einen nicht programmgestaltenden Mitarbeiter des Rundfunkanstalt, wenn diese Beiträge den ganz überwiegenden Teil der Einsätze ausmachen.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 2; BGB § 611 Abs. 1; HGB § 84 Abs. 1 S. 2; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 11.11.2014; Aktenzeichen 5 Ca 760 c/14) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 11.11.2014 - 5 Ca 760 c/14 - geändert:
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 01.09.2007 ein Arbeitsverhältnis als Kameramann in Vollzeit (38,5 Wochenstunden) besteht.
Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Kameramann in Vollzeit zu beschäftigen.
Der Klageerweiterung in der Berufung (Antrag zu 3) wird abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten ...