Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitlicher Urlaubsanspruch aus verschiedenen Rechtsgrundlagen. Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers auch beim tariflichen Mehrurlaub des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Resultieren Urlaubsansprüche aus tariflichen, arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Rechtsgrundlagen, ist bei ihrer Geltendmachung nicht von mehreren Schuldverhältnissen auszugehen, sondern von einem einheitlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub. § 366 Abs. 2 BGB findet in diesen Fällen keine Anwendung.
2. Die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers beim Urlaub des Arbeitnehmers gilt auch für den tarifvertraglichen Mehrurlaub, soweit tariflich nichts anderes vereinbart ist. Deshalb ist bei richtlinienkonformer Auslegung der §§ 1 und 7 BUrlG von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen.
Normenkette
RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; BUrlG §§ 1, 7 Abs. 1; BGB §§ 362, 366 Abs. 2; EUVO § 6 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Aktenzeichen 5 Ca 1469 öD f/20) |
Nachgehend
Tenor
- Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 1.509,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2021 zu zahlen.
- Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen).
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung für 10 Tage aus dem Jahre 2019.
Die Klägerin, die einen Grad der Behinderung von 60 hat, war vom 01.04.2001 bis zum 31.01.2021 beim beklagten Land beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der TV-L Anwendung. Aufgrund eines Erlasses des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 09.08.2016 erfolgt die Übertragung des Urlaubs über die tarifvertraglichen Vorschriften hinaus entsprechend der Übertragungsregelung für Beamtinnen und Beamte (§ 6 Abs. 1 EUVO SH) bis zum 30.09. des Folgejahres.
Im Jahr 2019 hatte die Klägerin 17 Tage Urlaub. Seit dem 24.07.2019 war sie bis zu ihrem Ausscheiden arbeitsunfähig erkrankt.
Die Klägerin sandte am 07.01.2020 eine E-Mail an das beklagte Land. Auf diese E-Mail bezog sich das beklagte Land bei ihrem Antwortschreiben an die Klägerin vom 12.06.2020. In diesem Schreiben wies das beklagte Land die Klägerin darauf hin, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2019 bis zum 30.09.2020 in Anspruch genommen werden müsse, weil er ansonsten zum 01.10.2020 verfalle (Anlage K 5, Bl.68 d. A.). Mit Schreiben vom 30.06.2020 (Bl. 6 d. A.) wies das beklagte Land die Klägerin darauf hin, dass von den genommenen 17 Tagen in 2019 diese zunächst auf den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX und den gesetzlichen Urlaubsanspruch anzurechnen seien, sodass noch 8 Tage gesetzlicher Urlaubsanspruch bestehen würden; der tarifliche Zusatzurlaub nach § 26 TV-L in Höhe von 10 Tagen verfalle zum 30.09.2020.
Das beklagte Land zahlte an die Klägerin nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Urlaubsabgeltung für acht Tage gesetzlichen Urlaubs aus dem Jahr 2019 sowie den danach entstandenen Urlaubsanspruch für 2020 und 2021.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie von der Beklagten noch die Abgeltung für zehn Tage des tarifvertraglichen Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 2019 i. H. v. 1.509,80 EUR beanspruchen könne. Sie habe mit dem gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Urlaubstagen, dem tariflichen Urlaubsanspruch von weiteren zehn Tagen sowie dem gesetzlichen Zusatzurlaub von 5 Tagen aufgrund ihrer Schwerbehinderteneigenschaft im Jahr 2019 insgesamt 35 Urlaubstage erworben. Bei der Abrechnung der Urlaubsansprüche sei davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer zunächst die am wenigsten gesicherten Ansprüche verwenden wolle, also in ihrem Fall zunächst den Zusatzurlaub aufgrund der Schwerbehinderung, dann die tariflich vorgesehenen Urlaubsansprüche und erst zuletzt den gesetzlichen Mindesturlaub. Der Verfall des Urlaubs könne auch nicht aufgrund des Hinweises vom 12.06.2020 eingetreten sein, da sie zu diesem Zeitpunkt gar keine Möglichkeit mehr gehabt habe, den Urlaub in Anspruch zu nehmen.
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an sie 1.509,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2021 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land war der Auffassung, dass der Klägerin im Jahr 2019 17 Tage des gesetzlichen Urlaubsanspruchs gewährt worden seien. Inklusive des gesetzlichen Zusatzurlaubs nach § 208 Abs. 1 SGB IX seien daher von insgesamt 25 gesetzlichen Urlaubstagen für das Jahr 2019 acht Urlaubstage nicht gewährt und daher - unstreitig - abgegolten worden. Der tarifliche Anspruch auf weitere zehn Urlaubstage sei hingegen mit Ablauf des 30.09.2020 verfallen.
Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage der Klägerin mit Ur...