Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Klageänderung in der Berufungsinstanz. Entgeltfortzahlung nach Corona-Infektion und deshalb verhängter behördlicher Quarantäne. Kausalität zwischen Erkrankung und Arbeitsverhinderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Klageänderung in der Berufungsinstanz ist unzulässig, wenn diese weder sachdienlich ist noch die beklagte Prozesspartei ihr ausdrücklich zugestimmt hat.
2. Ist der Arbeitnehmer - wenn auch symptomlos - mit dem Coronavirus infiziert, ist er erkrankt. Verhängt die zuständige Behörde wegen dieser Erkrankung eine Quarantäne mit der Folge, dass es dem Arbeitnehmer gemäß § 275 Abs. 3 BGB rechtlich unmöglich war, seine Arbeitsleistung zu erbringen, besteht dennoch ein Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG.
3. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge der Krankheit (Infektion mit dem Corona-Virus) ursächlich mit der angeordneten Quarantäne eintritt. Denn der Arbeitnehmer kann aufgrund der Erkrankung nicht mehr arbeiten, weil er sich in Quarantäne begeben muss. Die Krankheit führt also dazu, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung rechtlich unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB).
Normenkette
EntgFG § 3; IfSG § 56; BGB § 275; ZPO § 533; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 25.01.2023; Aktenzeichen 6 Ca 1443 öD/22) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck - 6 Ca 1443 öD/22 - vom 25.01.2023 teilweise abgeändert.
Das beklagte Klinikum wird verurteilt, an die Klägerin 102,75 EUR brutto zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt 94 % der Kosten des Rechtstreits, die Beklagte 6 %.
- Die Revision wird für das beklagte Klinikum zugelassen, im Übrigen wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin trat am 1. August 2019 als Verwaltungsangestellte in die Dienste des beklagten Klinikums ein. Zu ihren Aufgaben gehören Tätigkeiten in der Notaufnahme des Klinikums, und zwar die Patientenaufnahme und die administrative Bearbeitung der Patientenakten. Kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme findet der TV-L auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
Am 10. Januar 2022 arbeitete die Klägerin nicht, sie hatte frei. Sie ließ an diesem Tag einen SARS-CoV-2-Test durchführen. Ob die Klägerin am 11. Januar 2022 für das beklagte Klinikum arbeitete, ist zwischen den Parteien streitig. Am 11. Januar 2022 erhielt die Klägerin ein positives SARS-CoV-2-Testergebnis mit einem "SARS-CoV-2-CT-Value" von 25,9. Die Klägerin befand sich dann in einer vom zuständigen Gesundheitsamt angeordneten Quarantäne, und zwar für die Zeit vom 10. Januar 2022 bis 24. Januar 2022. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung legte die Klägerin dem beklagten Klinikum für diesen Zeitraum nicht vor. Ebenfalls ließ sich die Klägerin während dieser Zeit nicht ärztlich untersuchen.
Das beklagte Klinikum zahlte der Klägerin zunächst ausweislich der Abrechnung vom 26. Januar 2022 für den gesamten Monat Januar 2022 das ihr zustehende Grundentgelt. Mit Abrechnung vom 25. März 2022 behielt das beklagte Klinikum von der Vergütung für März 2022 zulasten der Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.541,25 € brutto ein, und zwar mit dem Hinweis in der Abrechnung auf "01.2022".
Die Klägerin war vor ihrer Infektion nicht gegen das SARS-CoV-2-Virus geimpft.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20. Juni 2022 forderte sie das beklagten Klinikum auf, den einbehaltenen Betrag von 1.541,25 € brutto abzurechnen und auszuzahlen. Sie vertrat in diesem Schreiben die Auffassung, einen Anspruch aus § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz zu haben, § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz sei nachrangig. Wegen des Inhaltes dieses vorprozessualen Schreibens wird Bezug genommen auf das zur Akte gereichte elektronische Dokument.
Das beklagte Klinikum wies die geltend gemachte Forderung mit der Begründung zurück, die Klägerin habe weder einen Immunitätsnachweis gegen COV-19 noch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vorgelegt, weshalb eine Entgeltfortzahlung nicht durchführbar sei.
Die Klägerin hat behauptet, sie sei vom 10. bis 13. Januar 2022 akut erkrankt gewesen, da sie an Schüttelfrost und Kopfschmerzen gelitten habe. Auch danach sei sie bis zum Ende der Quarantäne schwach und abgeschlagen gewesen. Sie habe sich in dieser Zeit erholen müssen, um das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung zu minimieren. Sie hat die Auffassung vertreten, bereits die Höhe des festgestellten PCR-Wertes belege aller medizinischen Erfahrung nach eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Jedenfalls folge diese auch unabhängig von etwaigen Symptomen bereits aus der Infektion verbunden mit der Quarantäneanordnung. Die Quarantäneanordnung sei kausal verursacht worden durch die Infektion, mithin liege eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor. Zudem habe sie aufgrund der Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes ihre Wohnung auch nicht verlassen dürfen, um einen Arzt aufzusuchen, weshalb ihr die Vorlage einer Beschein...