Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Berufungsbegründung. Erfüllung des Entgeltanspruchs mit Abführung der Steuer- und Sozialversicherungsabgaben. Rechtsmissbrauch durch widersprüchliches Verhalten. Grenzen der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Berufungsbegründung muss sich konkret mit den rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen des angefochtenen Urteils befassen.
2. Sowohl die Lohnsteuer als auch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sind aus dem Vermögen des Arbeitnehmers zu erbringen. Der Arbeitgeber ist zum Einbehalt der Beträge vom Arbeitslohn und zur Abführung an die zuständigen Stellen verpflichtet. Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nach, erfüllt er damit grundsätzlich seine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer.
3. Rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB ist insbesondere widersprüchliches Verhalten. Wer durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewusst oder unbewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat, darf den anderen Teil in seinem Vertrauen nicht enttäuschen.
4. Auf eine behördliche Auskunft über die Pflicht zur Abführung von Steuer- und Sozialversicherungsabgaben darf der Arbeitgeber sich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach verlassen. Er ist nicht verpflichtet, die sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Bescheide zu hinterfragen oder gar anzugreifen. Insoweit darf die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners nicht überspannt werden.
Normenkette
BGB § 362; EStG § 38 Abs. 2, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 611a Abs. 1; SGB IV §§ 28e, 28g
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 02.09.2022; Aktenzeichen 6 Ca 245 öD c/22) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 02.09.2022, Az. 6 Ca 245 öD c/22, wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
- Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Statusklage um Honoraransprüche des Klägers.
Der Beklagte betreibt unter anderem das Altenpflegezentrum S. in K.. Die Parteien schlossen am 14.12.2020 eine als "Dienstleistungsvertrag" bezeichnete Vereinbarung. Der befristete Dienstleistungsvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:
"l. Gegenstand des Vertrages
Der Auftraggeber überträgt dem Freiberufler die Durchführung folgender Dienstleistungen: Pflegefachkrafttätigkeiten im Altenzentrum S. ...
...
IV. Art und Umfang der Leistungen
Der Freiberufler verpflichtet sich, die nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistungen fachgerecht auszuführen. ...
...
V. Auftragserfüllung
Die Leistungen des Auftragnehmers gelten als erfüllt und abgenommen, wenn die Stundennachweise ordnungsgemäß vom Auftraggeber unterschrieben worden sind.
VI. Vergütung
Der Auftragnehmer erhält für seine Tätigkeit eine Stundenvergütung in Höhe von 100,00 €, sowie Nachtzuschläge für die Stunden von 18.00 Uhr - 6.00 Uhr und Wochenendzuschläge in Höhe von je 50% pro Stunde. Der Feiertagszuschlag beträgt 100 %. Silvester und Neujahr fällt der Feiertagszuschlag ab 12.00 Uhr an. Spesen fallen in Höhe von 30,00 € pro Tag an. Unterkunft wird von Seiten des Auftraggebers gestellt. Die Vergütung erfolgt nach Rechnungslegung innerhalb von 10 Werktagen. Die Rechnungsstellung erfolgt wöchentlich.
..."
Aufgrund dieser Vereinbarung erbrachte der Kläger vom 17.12.2020 bis 30.12.2020 Pflegetätigkeiten im Altenzentrum S.. Für diese Tätigkeiten erteilte der Kläger der Beklagten unter dem 30.12.2020 insgesamt drei Honorar-Rechnungen über seine geleistete Arbeit in Höhe von insgesamt 31.300,00 € (Rechnungsnummern: 2020/XX, 2020/XX, 2020/XX). Mit Rechnung vom 30.12.2020, Rechnungsnummer 2020/XX, beanspruchte er gegenüber der Beklagten Spesen-Pauschalen in Höhe von insgesamt 567,00 €.
Mit Schreiben vom 15.01.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er werde bis zur Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers nicht den vollen Rechnungsbetrag zahlen. Nach einer Mahnung des Klägers vom 26.01.2021 konkretisierte die Beklagte mit Schreiben vom 01.02.2021 ihre Ankündigung dahingehend, dass sie bis zur Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status nur 60 % der Rechnungsbeträge zahlen werde. Die Beklagte zahlte daraufhin zunächst 16.080,00 € an den Kläger und im Verlauf des Rechtsstreits weitere 2.527,25 €. Darüber hinaus führte sie für den Kläger 12.048,26 € Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von 662,62 € sowie Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 549,75 € ab.
Mit Anwaltsschreiben vom 03.02.2021 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Zahlung des ...