Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz. Titelmissbrauch. Sozialversicherungsbeiträge. Schadensersatz wegen Titelmissbrauch nach § 826 BGB
Leitsatz (amtlich)
Über die materielle Unrichtigkeit des Vollstreckungsbescheids hinaus setzt ein Schadensersatzanspruch wegen Titelmissbrauchs nach § 826 BGB das Hinzutreten besonderer Umstände voraus, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und die das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig prägen, sodass die Durchbrechung der Rechtskraft gerechtfertigt erscheint. Sofern der Titel nicht erschlichen worden ist, reicht die bloße Kenntnis des Gläubigers von der materiell-rechtlichen Unrichtigkeit des Titels nicht aus.
Normenkette
BGB § 826; SGB IV § 28g
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 27.04.2006; Aktenzeichen 3 Ca 164 e/06) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Elmshorn vom 27. April 2006, Aktenzeichen 3 Ca 164 e/06, abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um einen Erstattungsanspruch der ehemaligen Klägerin wegen abgeführter Erstattungsbeiträge zur Sozialversicherung und Steuern.
Der Beklagte war bei der klagenden Spedition seit dem 01.06.2002 als Arbeitnehmer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete zwischenzeitlich. Mit Schreiben vom 03.05.2005 forderte der Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung bis zum 17.05.2005 erfolglos auf, den abgerechneten Lohn für Januar 2004 in Höhe von EUR 2.198,21 brutto an ihn auszuzahlen. Der Beklagte erwirkte am 19.06.2005 gegen die Klägerin wegen abgerechneter (Bl. 12 d. GA.), aber nicht gezahlter Lohnansprüche für Januar 2004 einen Vollstreckungsbescheid zum Mahnbescheid vom 06.06.2005 über eine Forderung in Höhe von EUR 2.198,61 brutto nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2005 (Bl. 35 d. GA.). Der Vollstreckungsbescheid wurde der Klägerin am 21.06.2005 zugestellt. Im Vollstreckungsverfahren ließ der Beklagte das Geschäftskonto der Klägerin pfänden. Daraufhin wies die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 02.07.2005 darauf hin, dass es sich bei dem gepfändeten Betrag um einen Bruttobetrag handele und ihm lediglich ein Nettobetrag über EUR 1.652,15 zustehe. Letztlich überwies die Klägerin, unter Abzug vermeintlich unberechtigt gezahlter vermögenswirksamer Leistungen in Höhe von EUR 720,00 zzgl. Mahnspesen, an den Beklagten einen Teilbetrag über EUR 1.025,82 (Bl. 15 d. GA.). In der Folgezeit fand eine vorgerichtliche Korrespondenz zwischen den Parteivertretern über die Berechtigung des Abzugs für die vermögenswirksamen Leistungen statt. Wegen des Inhalts wird auf die Anlagen K 6 (Bl. 16 d. GA.), K 7 (Bl. 18 f. d. GA.), K 10 (Bl. 22 d. GA.) verwiesen. Mit Schreiben vom 29.08.2005 bestätigte der für die Beklagte tätige Steuerberater ihr, dass „für den Lohnabrechnungszeitraum Januar 2005 beim Finanzamt keine Lohnsteuerbeträge und bei den Krankenkassen keine Sozialversicherungsbeiträge mehr offen” seien (Bl. 21 d. GA.). Zur Vermeidung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen zahlte die Klägerin letztlich an den Beklagten den vollständigen Bruttobetrag aus dem Vollstreckungsbescheid vom 19.06.2005. Gleichzeitig forderte sie den Kläger mit Schreiben vom 16.11.2005 wegen ungerechtfertigter Bereicherung in Bezug auf die vermögenswirksamen Leistungen zur Rückzahlung des vollstreckten Betrages in Höhe von EUR 1.384,08 auf (Bl. 24 f. d. GA.). Die Beklagte unterließ es ihrerseits nach erfolgter Vollstreckung, den Einzug der Arbeitnehmeranteile und der Steuern gegenüber der Einzugsstelle und dem Finanzamt mitzuteilen.
Wegen des weiteren – insbesondere streitigen – Vorbringens der Parteien in erster Instanz sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit Urteil vom 27.04.2006 hat das Arbeitsgericht der Zahlungsklage teilweise stattgegeben. Der Klägerin stehe gegenüber dem Beklagten ein Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 545,30 gemäß § 826 BGB nebst Zinsen zu. Wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Bruttotitels die Vergütungsbestandteile in voller Höhe eintreibe, es jedoch unterlasse, diese Beiträge an die Sozialversicherung abzuführen bzw. deren Einzug zu melden, so sei er dem Arbeitgeber gegenüber für bereits abgeführte Beiträge erstattungspflichtig. Der Erstattungsforderung der Klägerin stehe auch § 28 g S. 2 und 3 SGB IV nicht entgegen. Diese Vorschrift bezwecke nicht, dass der Arbeitnehmer Vergütungsbestandteile endgültig solle behalten dürfen, über die er die Verfügungsgewalt erst durch aktives Betreiben der Zwangsvollstreckung aus einem Bruttobetrag erlangt habe. Von der Rückzahlungspflicht sei auch die von der Klägerin abgeführte Lohnsteuer in Höhe von EUR 77,00 erfasst. Soweit der Beklagte die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bestreite, sei dies angesichts de...