Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderter. Beschäftigungsanspruch. Versetzung. leidensgerechter Arbeitsplatz. allgemeine Schutzpflichten. gegenseitige Rücksichtnahme. Fürsorgepflicht. Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf leidensgerechte Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 81 Abs. 4 SGB IX hat ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung aufgrund seiner Behinderung nicht mehr erfüllen kann, gegenüber seinem Arbeitgeber einen gesetzlichen Anspruch auf behindertengerechte Beschäftigung. Das Schwerbehindertenrecht räumt dem schwerbehinderten Arbeitnehmer einen klagbaren Anspruch darauf ein, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten so beschäftigt zu werden, dass er entsprechend seiner Vorbildung und seinem Gesundheitszustand seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann. Der Arbeitgeber ist indessen weder verpflichtet, einen leidensgerechten Arbeitsplatz einzurichten noch „frei” zu kündigen.
2. Obgleich den Arbeitgeber im Rahmen des § 81 Abs. 4 SGB IX eine eigene Prüfungspflicht hinsichtlich leidensgerechter Beschäftigungsmöglichkeiten trifft, hat der auf leidensgerechte Beschäftigung klagende Arbeitnehmer die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 81 Abs. 4 SGB IX im Einzelnen darzulegen und zu beweisen. Hierzu zählt auch, die begehrte leidensgerechte Beschäftigung nach Art und Umfang zu konkretisieren, etwa durch Nennung der Berufsbezeichnung (z.B.: Bäcker, Sekretärin) oder Umschreibung der Tätigkeit (z.B.: Haushaltshilfe, Schreibkraft).
3. § 241 Abs. 2 BGB gewährt unter dem Gesichtspunkt der gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht keinen eigenständig einklagbaren Anspruch auf Versetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Dies ist nur dann der Fall, wenn die in § 241 Abs. 2 BGB normierte allgemeine Schutzpflicht gleichzeitig auch eine vertragliche oder gesetzliche (hier: § 81 Abs. 4 SGB IX) Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis ist.
Normenkette
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; SGB IX § 81 Abs. 4; BGB §§ 611, 241 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 05.01.2005; Aktenzeichen 4 Ca 236 c/04) |
Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 05.01.2005, Az.: 4 Ca 236 c/04, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz zu beschäftigen und sich daraus ergebenden Verzugslohn.
Der jetzt 42-jährige Kläger ist bei dem beklagten Land, endvertreten durch das Straßenbauamt …, als ausgebildeter Straßenwärter angestellt. Bei seiner Eingruppierung in Lohngruppe V a MTL-II erzielt er eine Monatsvergütung von rund EUR 1.900,00 brutto.
Der Kläger ist seit dem 01.01.2001 fortlaufend arbeitsunfähig krank. Aufgrund einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule ist er dauerhaft nicht mehr in der Lage, die Tätigkeiten eines Straßenwärters auszuüben. Er ist zu 30 % schwerbehindert und Schwerbehinderten gleichgestellt. Ein von ihm gestellter Rentenantrag wegen Erwerbsminderung wurde abgelehnt.
Der Kläger bot der Beklagten mehrfach seine Arbeitskraft z. B. als Hausmeister oder Mautkontrolleur an (Bl. 10, 11 13 f. d. GA.), welches die Beklagte mit dem Hinweis, dass eine andere Einsatzmöglichkeit als diejenige eines Straßenwärters in der Straßenmeisterei. I… nicht zur Verfügung stehe (Bl. 12, 15 d. GA.). Dem Kläger fehlen derzeit die fachlichen Voraussetzungen, um Verwaltungstätigkeiten ausüben zu können.
Am 29.01.2004 hat der Kläger mit den Anträgen,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger an einem leidensgerechten Arbeitsplatz zu beschäftigen;
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 1.895,54 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsatz seit 01. November 2003 zu zahlen,
Klage beim Arbeitsgericht Elmshorn erhoben. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, wie er in der ersten Instanz vorgelegen hat, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. § 81 SGB IX scheide als Anspruchsgrundlage aus, da der Kläger kein schwerbehinderter Mensch i. S. d. § 2 SGB IX sei. Der Beschäftigungsanspruch könne auch nicht auf § 241 Abs. 2 BGB gestützt werden. Da der Kläger die vertraglich geschuldete Arbeit unstreitig nicht angeboten habe, stehe ihm auch kein Verzugslohn für den Monat November 2003 zu.
Gegen dieses ihm am 10.01.2005 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 09.02.2005 beim Landesarbeitsgericht eingelegten Berufung, die er am 10.03.2005 begründet hat.
Der Kläger ist der Auffassung,
dass der Arbeitgeber zur Versetzung verpflichtet sei, wenn der Arbeitnehmer zur Erfüllung seiner geschuldeten Arbeitsleistung unfähig sei. Dies folge aus der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden Rücksichtnahmepflicht. In analoger Anwendung des Rechtsgedank...