Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsentgelt und krankheitsbedingte Entgeltfortzahlung im privaten Omnibusgewerbe. rechtswidrige Tarifbestimmung zur Berechnung des Urlaubsentgelts unter Außerachtlassung regelmäßiger Überstunden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes auch zu Ungunsten der Beschäftigten abweichen; ausgenommen sind jedoch die §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG.

2. Bei der Prüfung der Frage, ob die Tarifvertragsparteien Regelungen getroffen haben, die sich im Rahmen des § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG halten, ist abstrakt darauf abzustellen, ob die Gesamtheit der tariflichen Regelungen, die die Höhe des Urlaubsentgelts bestimmen (Zeit- und Geldfaktor), die aufgezeigten Grenzen überschreitet oder nicht; nicht einzubeziehen in diesen abstrakten Günstigkeitsvergleich sind über das Bundesurlaubsgesetz hinaus gewährte zusätzliche Leistungen, wie etwa ein zusätzliches Urlaubsgeld oder eine die Mindestdauer überschießende Anzahl von Urlaubstagen.

3. Überschreiten die Tarifvertragsparteien mit der Bestimmung einer Berechnungsmethode die gesetzlich vorgegebenen Grenzen des § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, ist zur Berechnung der Höhe des Urlaubsentgelts für den gesetzlichen Mindesturlaub auf die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes zurückzugreifen; die tariflichen Regelungen bleiben dabei (unabhängig davon, ob sie günstiger oder ungünstiger sind) unberücksichtigt.

4. Für den Urlaub, der den gesetzlichen Mindestanspruch übersteigt, ist die in § 11 Abs. 1 BUrlG für das Urlaubsentgelt bestimmte Berechnung nicht ohne weiteres anzuwenden, denn das Bundesurlaubsgesetz regelt nur den gesetzlichen Mindesturlaub; es steht daher sowohl den Arbeits- als auch den Tarifvertragsparteien frei, für weitergehende Urlaubsansprüche eigenständige Regelungen zu treffen, wobei die gesetzlichen Bestimmungen auf den übergesetzlichen Urlaub nur anwendbar sind, wenn arbeits- oder tarifvertragliche Regelungen fehlen oder es sich bei diesen um bloße deklaratorische Regelungen handelt.

5. Mit der Regelung der Höhe des Urlaubsentgelts in § 16 Abs. 6 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer/-innen des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein vom 16.07.1996 in der durch die 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zum 01.01.2007 geänderten Fassung (MTV) haben die Tarifvertragsparteien den ihnen eingeräumten Regelungsspielraum jedenfalls für den Bereich des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs überschritten, denn für die Berechnung des Urlaubsentgelts darf nach den §§ 1, 11 Abs. 1 BUrlG nicht ausschließlich auf die tarifliche oder eine daran angelehnte pauschale Arbeitszeit abgestellt werden, ohne die tatsächlich an den einzelnen Arbeitstagen ausgefallene Arbeitszeit zu berücksichtigen; ein Tarifvertrag darf keine geringere Stundenzahl für die Berechnung der Urlaubsvergütung vorsehen, als während des Urlaubszeitraums tatsächlich angefallen wäre, so dass auch während des Urlaubs ansonsten zu leistende Überstunden berücksichtigt werden müssen.

6. § 16 Abs. 6 MTV greift mittelbar in die in § 1 BUrlG angeordnete Entgeltfortzahlung während des Urlaubs ein, indem der Zeitfaktor für die Berechnung der Entgeltfortzahlung von der tatsächlich ausgefallenen Arbeitszeit unabhängig bestimmt wird; der Tarifvertrag geht von 8 Stunden (bei 5-Tage-Woche) oder 7 Stunden (bei 6-Tage-Woche) aus, obwohl Beschäftigte regelmäßig mehr als 8 Stunden täglich arbeiten.

7. Einzelne Entgeltbestandteile stehen bei der Berechnung des Geldfaktors nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien, so dass Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, die im Bezugszeitraum verdient sind, bei der Vergütung des gesetzlichen Mindesturlaubs nicht unbeachtet bleiben dürfen; soweit die Tarifvertragsparteien sowohl den Geld- als auch den Zeitfaktor zu Lasten der Beschäftigten geändert haben, verstößt § 16 Abs. 6 MTV gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 mit § 1 BUrlG.

8. Mit § 18 Abs. 3 MTV haben die Tarifvertragsparteien den Umfang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eigenständig geregelt; die Vorschrift legt die Bemessungsgrundlage der Entgeltfortzahlung eigenständig und abweichend von § 4 Abs. 1 EFZG fest und bestimmt, dass Beschäftigte während der Dauer der Erkrankung den Lohn fortgezahlt erhalten, "der gemäß § 16 Abs. 6 (Urlaubslohn) gezahlt wird"; die Tarifvorschrift des § 18 Abs. 3 MTV verweist damit wegen der Höhe des fortzuzahlenden Lohns allein auf die Höhe des Urlaubslohns, so dass im Wege der Rechtsfolgenverweisung nur auf die Berechnung des fortzuzahlenden Lohns verwiesen wird, wie sie in § 16 Abs. 6 MTV ausformuliert ist.

9. § 18 Abs. 3 MTV in Verbindung mit § 16 Abs. 6 MTV ist durch die Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 EFZG gedeckt; dass der Zeitfaktor die regelmäßige individuelle Arbeitszeit unberücksichtigt lassen darf, folgt aus § 4 Abs. 1 a Satz 1 EFZG, so dass die Überstundenvergütung ohnehin ausgenommen ist.

 

Normenkette

BUrlG §§ 1, 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1 S. 1; EFZG § 4 Abs. 1 a S. 1...

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