Entscheidungsstichwort (Thema)

fristlose Kündigung. Schwerbehinderter. Ausschlußfrist. Zustimmungsfiktion. Erklärung der Kündigung. unverzüglich. Umdeutung. Verwaltungsakt. Ermessensentscheidung. gesetzlich gebundene Entscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten kann nicht in eine solche zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden.

 

Normenkette

BGB § 121 Abs. 1, § 626 Abs. 2; SchwbG § 21 Abs. 3, 5; SGB X § 43 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Urteil vom 19.02.1998; Aktenzeichen 3 Ca 165 a/97)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 19. Februar 1998 – 3 Ca 165a/97 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Die mit Schreiben vom 27.12.96 ausgesprochene fristlose Kündigung ist unwirksam, weil die Beklagte die Ausschlußfrist des § 21 Abs. 5 SchwbG versäumt hat.

a) Nach der Grundregel des § 626 Abs. 2 BGB kann eine fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, erfolgen. Das Schwerbehindertengesetz modifiziert diese Regelung, da die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bedarf (§ 15 SchwbG). Gemäß § 21 Abs. 2 SchwbG kann die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, beantragt werden. Die Kündigung kann gem. § 21 Abs. 5 SchwbG auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird.

Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG hat die Hauptfürsorgestelle die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrags an zu treffen. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 21 Abs. 3 Satz 2 SchwbG).

b) Im vorliegenden Fall war der Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung am 02.12.1996 bei der Fürsorgestelle eingegangen. Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 SchwbG galt die Zustimmung mit Ablauf des 16.12.96 als erteilt, so daß die Beklagte am 17.12.96 die Kündigung erklären konnte. Damit begann die Ausschlußfrist des § 21 Abs. 5 SchwbG (s. dazu auch BAG, Urteil vom 3.7.1980 – 2 AZR 340/78 – EzA § 18 SchwbG Nr. 3).

Durch den am 20.12.96 erfolgten Zugang des schriftlichen Bescheides vom 19.12.96 wurde die Ausschlußfrist nicht erneut in Gang gesetzt. Der Bescheid ist vor dem Hintergrund der folgenden Problematik zu sehen: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind auch fingierte Zustimmungen nach § 21 Abs. 3 Satz 2 SchwbG als Verwaltungsakte mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbar. Die Hauptfürsorgestelle hat die als erteilt geltende Zustimmung den Beteiligten schriftlich zu bestätigen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.09.1992 – 5 C 39.88 – EzA § 21 Schwerbehindertengesetz 1986 Nr. 4). Hieran knüpft § 36 SGB X die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung. Aus diesen Gründen ist in dem Widerspruchsbescheid auch davon die Rede, daß die Zustimmungsfiktion mit dem am 20.12.1996 zugestellten Bescheid bestätigt worden sei.

c) Die Beklagte hat die Kündigung erst mit ihrem Zugang am 30.12.96 i. S. d. § 21 Abs. 5 SchwbG erklärt.

Unter der Erklärung der Kündigung im Sinne dieser Vorschrift ist nämlich der Zugang der Kündigung zu verstehen (BAG, Urteil vom 03.07.1980 – 2 AZR 340/78 – a. a. O. mit eingehender Begründung). Die Frist des § 21 Abs. 5 SchwbG ist wie die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eine materiellrechtliche Ausschlußfrist. Für die Wahrung der letztgenannten Frist wird aus zwei Gründen auf den Zugang der Kündigung abgestellt (dazu BAG, Urteil vom 09.03.1978 – 2 AZR 529/76 – EzA § 626 BGB n. F. Nr. 63). Zum einen ist die Kündigung als empfangsbedürftige Willenserklärung vor ihrem Zugang als rechtserhebliche Erklärung nicht vorhanden. Zum anderen soll durch die Frist für denjenigen, der einen wichtigen Grund zur Kündigung gesetzt hat, Klarheit geschaffen werden, bis wann er noch mit einer außerordentlichen Kündigung zu rechnen hat. Die Ungewißheit hierüber kann nur beseitigt werden, wenn man auf den Zugang der Kündigungserklärung abstellt. Diese Erwägungen treffen aber auch für den Geltungsbereich des § 21 Abs. 5 SchwbG zu. Der Zwei-Wochen-Zeitraum, innerhalb dessen der Arbeitnehmer mit einer außerordentlichen Kündigung zu rechnen hat, mußte im Hinblick auf die erforderliche Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ohnehin erheblich verlängert werden. Die Begrenzung dieses Zeitraums durch § 21 Abs. 5 SchwbG dient demselben Zweck wie die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Die Ungewißheit für den Schwerbehinderten, der einen wichtigen Kündigungsgrund gesetzt hat, kann deshalb ebenfalls nur beseitigt wer...

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