Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertrag. Bauhauptgewerbe. Entgelttarifvertrag. Bezirkslohntarifvertrag. Innung. Anwendungstarifvertrag. Bindung. Auslegung. Auslegung eines Anwendungstarifvertrages
Leitsatz (amtlich)
1. Für die nicht regionalspezifischen Sonderlohngruppen des Bauhauptgewerbes ist der jeweilige Bundestarifvertrag im Baugewerbe TV Lohn/West anzuwenden, soweit und solange ein gekündigter Bezirkslohntarifvertrag für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein nicht durch einen neu gefassten Bezirkslohntarifvertrag ersetzt wird.
2. Aufgrund des Anwendungstarifvertrages vom 23. Mai 1990 gilt dieses auch für die Mitgliedsfirmen der aus dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein ausgetretenen Innung des Baugewerbes Neumünster. Das ergibt die Auslegung dieses Tarifvertrages.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 1; TV Lohn/West Bauhauptgewerbe § 2 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Urteil vom 23.05.2008; Aktenzeichen 1 Ca 1092 b/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 23.05.2008 – 1 Ca 1092 b/07 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Tariflohn für April bis Juli 2007 sowie auf 13. Monatseinkommen.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 06.06.2006 bis zum 18.07.2007 als Fliesenleger beschäftigt. Er erhielt einen mündlich vereinbarten Stundenlohn von 13,54 EUR brutto. Der Kläger ist Mitglied der IG Bauen-Agrar-Umwelt.
Die Beklagte ist nicht Mitglied des Baugewerbeverbandes Schleswig-Holstein, sondern nur Mitglied der Innung des Baugewerbes N.. Letztere ist Ende der 80er Jahre aus Anlass innerorganisatorischer Streitigkeiten aus dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein ausgetreten. Sie hat dann mit der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden (IG BSE) am 23. Mai 1990 einen Tarifvertrag über die Anwendung der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes (im Folgenden: AnwendungsTV) geschlossen, um die fehlende Tarifbindung der Mitglieder der Innung des Baugewerbes N. herbeizuführen. Dort heißt es auszugsweise wie folgt:
„§ 2
Leistungen
Es gelten alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Bauhauptgewerbes sowie alle nachfolgend aufgeführten Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe in der jeweils geltenden Fassung:
Gewerbliche Arbeitnehmer
- Bezirkslohntarifvertrag und Ausbildungsvergütungen für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein
- Tarifvertrag über die Gewährung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens zugunsten der gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe
- Tarifvertrag über die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen zugunsten der gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe
- Tarifvertrag über die Auslösungssetze für alle gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes
Angestellte
…
§ 3
Inkrafttreten und Laufdauer
Dieser Tarifvertrag tritt am 1. April 1990 in Kraft …
Die Parteien sind sich einig, dass, wenn sich die Zugehörigkeit der Tarifvertragsparteien dieses Vertrages zu den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes verändert, dieser Tarifvertrag ohne Kündigung endet.
Werden für das Bauhauptgewerbe andere als die in diesem Vertrag aufgeführten Verträge abgeschlossen, so verpflichten sich die Tarifvertragsparteien dieses Tarifvertrages, unverzüglich in Verhandlungen hierüber einzutreten.” (Bl. 31 – 33 d. A.).
Der Anwendungstarifvertrag ist ungekündigt.
Im Baugewerbe gibt es folgende Besonderheit: Seit Jahrzehnten vereinbaren die bundesweit agierenden Spitzenorganisationen des Baugewerbes und der Bauindustrie ausgehend von den im Bundesrahmentarifvertrag festgelegten Berufsgruppen die jeweilige Vergütung in den Lohntarifverträgen (TV Lohn/West). Ergänzend hierzu vereinbaren die Landes- und Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien sogenannte Bezirkslohntarifverträge auf Landesebene, um zusätzlich regionale Besonderheiten erfassen zu können und zu erfassen. Neben der Übernahme der zentral vorgegebenen Vergütungsregelungen wurden in diesen regionalen Bezirkslohntarifverträgen ergänzend sogenannte Sonderlohngruppen geregelt, die für bestimmte besondere regionale Berufe beziehungsweise Tätigkeiten abweichende Stundenlöhne vorsahen. Um diese regionale Umsetzung zu gewährleisten, bestimmt § 8 TV Lohn/West, dass die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien verpflichtet sind, unverzüglich die Bezirkslohntarifverträge ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen (vgl. Bl. 49 d. A.). Nach § 10 TV Lohn/West (Inkrafttreten und Laufdauer) gilt eine Kündigung des TV Lohn/West auch als Kündigung der aufgrund dieses Tarifvertrages erstellten Bezirkslohntarifverträge (vgl. Bl. 50 d. A.). Der TV Lohn/West ist nicht allgemeinverbindlich.
Der letzte Bezirkslohntarifvertrag Schleswig-Holstein datiert vom 01.04.2000 und wurde durch die Kündigung des TV Lohn/West zum 31.03.2002 mit gekündigt. Seither ist kein neuer Bezirkslohntarifvertrag im Tarifgebiet Schleswig-Holstein/Hamburg zustande gekommen. Der in diesem ...