Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewerbung. Entschädigung. Schwerbehinderteneigenschaft. Benachteiligung. Diskriminierung. öffentlicher Dienst. Diskriminierung wegen Schwerbehinderung
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Schwerbehinderter entgegen § 82 Satz 2 SGB IX auf seine Bewerbung auf eine von einem öffentlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch geladen, obwohl ihm die fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle nicht offensichtlich fehlt, begründet dies die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft i. S. v. § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX.
2. Die Vermutungsregelung führt nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers. Dieser kann sich von der Vermutung eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot nur entlasten, wenn er nachweist, dass die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers auch als noch so untergeordneter Aspekt in einem Motivbündel überhaupt keine Rolle bei seiner Entscheidung gespielt hat.
3. Sofern die Beweislastumkehr nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX greift, muss der Arbeitgeber die Voraussetzungen des § 82 Satz 3 SGB IX darlegen und beweisen, mithin nachweisen, dass dem schwerbehinderten Bewerber offensichtlich die erforderliche fachliche Eignung fehlt.
4. Maßstab für die Beurteilung der offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung i. S. v. § 82 Satz 3 SGB IX sind stets das mit der Stellenausschreibung wiedergegebene Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle einerseits und die vom Bewerber eingereichten Bewerbungsunterlagen andererseits.
Normenkette
SGB IX § 81 Abs. 2, § 82
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Urteil vom 13.05.2005; Aktenzeichen 3 Ca 2823 c/04) |
Tenor
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 13. Mai 2005, Az. 3 Ca 2823 c/04, wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.500,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 3. November 2004 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits I. und II. Instanz trägt der Kläger zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat.
Die Beklagte schrieb Stellen für „IT-Systemspezialisten für den Prüf- und Beratungsdienst” aus. In der Stellenanzeige legte sie das Anforderungsprofil wie folgt fest:
„Es kommen Diplom-Informatiker/innen, Diplom-Wirtschaftsinformatiker/innen oder Diplombetriebswirte/innen mit Schwerpunkt Informatik ebenso in Betracht, wie Mitarbeiter aus der Verwaltung mit mehrjähriger Erfahrung in der Administration von IT-Systemen. Es sollen sich aber auch „Quereinsteiger” angesprochen fühlen, die über fundierte IT-Systemkenntnisse (vergleichbar MCSE-Qualifikation) verfügen.”
Hierauf bewarb sich der am ….1964 geborene und zu 60 % schwerbehinderte Kläger fristgerecht mit Schreiben vom 01.07.2004 und fügte seinen Lebenslauf, diverse Zeugnisse und Bescheinigungen sowie den Schwerbehindertenausweis bei (Bl. 6 ff. d. GA.). Der Kläger besitzt die allgemeine Hochschulreife, absolvierte eine Ausbildung zum technischen Assistenten für Informatik, legte jeweils die Vordiplome in den Studiengängen technische Informatik und Softwaretechnik an der Fachhochschule W… bzw. H… ab und studierte von 1995 bis 1997 an der Fernuniversität H… Wirtschaftsinformatik (ohne Abschluss). Parallel zu seiner Ausbildung arbeitete der Kläger seit 1985 freiberuflich als EDV-Dozent. Seit 1988 ist er selbstständiger Geschäftsführer der Fa. B… EDV Systemhaus.
Auf die ausgeschriebenen Stellen bewarben sich insgesamt 216 Interessenten, unter ihnen 11 Personen, die ihre Schwerbehinderteneigenschaft offen gelegt hatten. Wegen der einzelnen Qualifikationen der Bewerberinnen und Bewerber wird auf die anonymisierte Bewerberübersicht verwiesen (Bl. 54 ff. d. GA.). Der Kläger ist in der Bewerberliste unter der Nr. 209 aufgeführt. Die Beklagte lud die Bewerberinnen und Bewerber der Bewerberliste mit den Nrn. 16, 92, 98, 103, 112, 169, 173, 186, 193 und 195 zu einem Vorstellungsgespräch ein. Unter ihnen befand sich kein Schwerbehinderter. Nachdem der zunächst favorisierte Bewerber Nr. 16 seine Bewerbung zurückgezogen hatte, entschied die Beklagte, den bei ihr seit ca. fünf Jahren beschäftigten Mitarbeiter Nr. 186 unbefristet einzustellen. Die Beklagte stellte für die befristet ausgeschriebene Stelle den Bewerber Nr. 193 ein. Mit Schreiben vom 06.09.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Wahl auf „zwei noch qualifiziertere Bewerber” gefallen sei und sandte ihm die Bewerbungsunterlagen zurück (Bl. 32 d. GA.). Mit Schreiben vom 06.10.2004 beanspruchte der Kläger gegenüber der Beklagten eine Entschädigungszahlung nach § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX in Höhe von EUR 15.000,– (Bl. 42 d. GA.).
Der Kläger hat vorgetragen,
dass die Beklagte ihn bei der Einstellung wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Dies ergebe sich schon daraus, dass...