Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertrag TV Ratio, Deutsche Telekom, Feststellungsantrag, Versetzung, arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel. dynamische Verweisung. Gleichstellungsabrede. Auslegung. Rechtsnachfolge. Deutsche Bundespost. Jeweiligkeitsklausel. Vertrauensschutz. Überraschungsschutz. Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien, Erweiterung des Direktionsrechtes durch Tarifvertrag, Leiharbeit, Weitervermittlung. Kündigungsschutz, Umgehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Angebot i.S.v. § 7 des Tarifvertrags Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung Deutsche Telekom vom 29.6.2002 (TV Ratio) kann nicht darin gesehen werden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Stellen nachweist und ihn auffordert, sich auf diese zu bewerben. Ein Angebot setzt begrifflich voraus, dass das Zustandekommen des abändernden Vertrags nur noch von der Annahme durch die andere Vertragspartei abhängt.
2. Die Regelungen des TV Ratio berechtigen den Arbeitgeber, individualrechtich eine Versetzung im Wege des Direktionsrechts durchzuführen.
3. Aus § 5 TV Ratio ergibt sich, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze weggefallen sind, nach einer vorausgegangenen Sozialauswahl (= Identifizierung) in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit Vivento versetzt werden und diese Versetzung als zumutbar und gleichwertig anzusehen ist.
Normenkette
BetrVG § 95 Abs. 3; GewO § 106; PostPersRG § 5 Abs. 1, 3 TV Ratio, § 21 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen 4 Ca 4059 b/03) |
Tenor
1. Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Lübeck vom 24.09.2003 – 4 Ca 4059 b/03 – werden zurückgewiesen.
2. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Lübeck vom 24.09.2003 – 4 Ca 4059 b/03 – wird zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den Bedingungen des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages vom 11.7.1973 in der zuletzt geänderten Fassung des Änderungsvertrages vom 12.12.1991 als Fernmeldehandwerker/Betriebstechniker Telekom mit Tätigkeiten gemäß der Entgeltgruppe T 4 des Entgeltrahmentarifvertrages Telekom zu beschäftigen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 80% und der Beklagten zu 20 % auferlegt.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, (1) ob der Kläger zu beschäftigen ist, (2) ob seine Versetzung zur Personalserviceagentur (PSA), heute „V.” rechtswirksam ist, (3) ob die Beklagte berechtigt ist, den Kläger nach dem AÜG zur Leiharbeit einzusetzen und ob die Beklagte ihn auch an einen anderen Arbeitgeber vermitteln darf, (4) ob die von der Beklagten abgeschlossenen Tarifverträge, ggf. nur der TV Ratio, von dem Arbeitsvertrag der Parteien erfasst sind.
Der Kläger ist am …1955 geboren. Bei der Beklagten wurde er mit Wirkung vom 11.7.1973 als Fernmeldehandwerker/Betriebstechniker eingestellt. Die Parteien haben einen schriftlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen (Bl. 9 d.A.), in dem es heißt:
„Herr … wird am 11. Juli 1973 beim Fernmeldeamt L. in L. als vollbeschäftigter ständiger Arbeiter (Handw.) … eingestellt. Er wird vom gleichen Tage an in die Lohngruppe II (Anlage 2 zum TV Arb) eingrupppiert.
Die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart. …”
Seinerzeit war der Kläger Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft. Seit dem 1.10.1996 ist er nicht mehr Mitglied dieser Gewerkschaft, sondern in einem Berufsverband, mit dem die Beklagte keine Tarifverträge abgeschlossen hat.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging mit Gründung der Beklagten am 1.1.1995 auf diese über. Ab dem Jahr 1998 wurde der Kläger (Kläger: 01.12.1998, Beklagte: 19.01.1998) dem zur Niederlassung H. gehörenden Ressort PMS (Personal-Management-Service), in dem so genannte Personalüberhänge beschäftigt wurden, zugeordnet. Dieser Zuordnung hat sich der Kläger nicht widersetzt. Im Jahre 2002 bildete die Beklagte zur Optimierung der Vermittlung von Beschäftigten, die von Rationalisierung betroffen wurden, die Personalserviceagentur (PSA), die im Rahmen von Rationsalisierungsschutztarifverhandlungen zunächst noch mit dem Arbeitstitel „VQE” bezeichnet wurde und heute „V.” heißt. Die V. gehört ebenfalls zur Deutschen Telekom.
Bereits im Zeitpunkt der Einstellung des Klägers existierte ein Rationalisierungsschutztarifvertrag (Nr. 306 für Arbeiter, Nr. 307 für Angestellte). Dieser wurde durch den TV Nr. 33 (Bl. 175 d.A.) abgelöst. Mit Wirkung ab 01.08.2002 trat der den TV Nr. 33 (Bl. 175 ff. d.A.) ablösende „Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) (Bl. 120 ff. d.A.) in Kraft. Die wichtigsten Ziele des TV Ratio waren u.a. die Sicherung von Arbeitsplätzen und die sozialverträgliche Absicherung der vielfältigen Maßnahmen. Der TV Ratio regelt u. a. in § 11 das Verbot betriebsbedingter Beendigungskündigungen in der Zeit vom 01.10.1997 ...