Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsgrundlagen für Vergütungsanspruch eines Betriebsratsmitglieds. Darlegungslast des Betriebsratsmitglieds im Rahmen des § 78 Satz 2 BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschrift des § 37 Abs. 4 BetrVG ist keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers und deren Durchsetzbarkeit. Daneben kann sich ein unmittelbarer Anspruch auf eine bestimmte Vergütung aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Amtstätigkeit darstellt.
2. Dem Betriebsratsmitglied muss der Nachweis gelingen, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde. Dazu zählen alle Fakten und Umstände, die den rechtlichen Schluss auf eine Benachteiligung bei der Vergütung zulassen. Diese strenge Darlegungslast gilt auch für den Fall, dass das Betriebsratsmitglied eine nicht genutzte Beförderungschance als Grund für eine Benachteiligung und die daraus folgende zu geringe Vergütung ansieht.
Normenkette
BGB § 611a Abs. 2; BetrVG § 37 Abs. 4, § 78; GBV-Entgelt § 2 Nrn. 3, 8
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 26.01.2018; Aktenzeichen 4 Ca 1886/17) |
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 26.01.2018, Az. 4 Ca 1886/17, abgeändert und die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz sowie die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.
Der Kläger ist bei der beklagten Gewerkschaft bzw. einer ihrer Rechtsvorgängerinnen seit dem 01.10.1990 als Gewerkschaftssekretär beschäftigt. Nach der Gründung der Beklagten im März 2001 wurde der Kläger im Oktober 2001 zum Mitglied des Betriebsrats des Landesbezirks N. gewählt. Seit den Betriebsratswahlen im Mai 2006 ist der Kläger Betriebsratsvorsitzender und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt.
Der Landesbezirk N. der Beklagten gliedert sich in neun Bezirke und zwölf Fachbereiche. Jeder Bezirk wird von einem sog. Bezirksgeschäftsführer geleitet. Nach Gründung der Beklagten in 2001 gab es für jeden Bezirksgeschäftsführer jeweils vier stellvertretende Bezirksgeschäftsführer mit einem Stellenanteil von 0,2, insgesamt also 36 stellvertretende Bezirksgeschäftsführer. Diese Anzahl der Stellvertreterpositionen sollte dazu dienen, alle Gründungsgewerkschaften angemessen in Führungspositionen zu repräsentieren. Seit dem Jahr 2006 gibt es für jeden Bezirksgeschäftsführer nur noch einen Stellvertreter. Bei den stellvertretenden Bezirksgeschäftsführern und Bezirksgeschäftsführern handelt es sich um Gewerkschaftssekretäre. Die Führungsfunktionen werden aus dem Kreis der Gewerkschaftssekretäre besetzt.
Das bei der Beklagten angewendete Vergütungssystem ergibt sich aus der Gesamtbetriebsvereinbarung Entgelt (im Folgenden GBV-Entgelt) aus dem Jahr 2012. Diese enthält - soweit hier von Belang - folgende Entgeltgruppen:
"Entgeltgruppe 8 ...
Tätigkeitsbeispiele:
Funktionsstufe 1 ...
8.1.1 Gewerkschaftssekretär/in mit Betreuungsbereich, denen als zusätzliche Aufgabe überbezirkliche und/oder landesbezirksübergreifende
Tarifarbeit
Betreuungsaufgaben von betrieblichen Mitbestimmungsgremien (z.B. GBR-, HPR, MAVen)
Koordination von Branchen- bzw. Teilbranchenarbeit nicht nur in Ausnahmefällen übertragen wurden
8.1.2 stellvertretende/r Bezirksgeschäftsführer/in in Bezirken bis 14.999 abgerechneten Mitgliedern2
Funktionsstufe 2 ...
8.2.1 stellvertretende/r Bezirksgeschäftsführer/in in Bezirken ab 15.000 abgerechneten Mitgliedern2
...
Entgeltgruppe 9
Hierunter fallen abschließend folgende Funktionen:
Funktionsstufe 1 ...
9.1.1 Bezirksgeschäftsführer/in eines Bezirkes mit bis 14.999 abgerechneten Mitgliedern2
9.1.2 Landesfachbereichsleiter/in eines Landesfachbereichs mit bis zu 14.999 abgerechneten Mitgliedern2
...
Funktionsstufe 2
9.2.1 Bezirksgeschäftsführer/in eines Bezirkes ab 15.000 abgerechneten Mitgliedern3
9.2.2 Landesfachbereichsleiter/in eines Landesfachbereichs ab 15.000 abgerechneten Mitgliedern3
..."
Die Fußnoten 2 und 3 lauten:
"Ist die Zahl der abgerechneten Mitglieder für die Eingruppierung erheblich, wird auf den Durchschnitt der letzten vier Quartale abgestellt."
Der Kläger war vor seiner Freistellung (Mai 2006) mit einem Stellenanteil von 0,8 als Betreuungssekretär Handel und mit einem Stellenanteil von 0,2 einer von vier stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer im Bezirk K./P. tätig und erhielt Vergütung nach EG 8.2 GBV-Entgelt. Alle bis zur Wahl der Bezirksgeschäftsführer und deren Stellvertreter (nur noch einer) in 2006 tätigen 16 stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer erhielten die Vergütung nach EG 8.1 bzw. 8.2 GBV-Entgelt weiter, auch wenn sie nach der Wahl 2016 nicht mehr als stellvertretende Bezirksgeschäftsführer tätig waren. Der Kläger trat die Wahle...