REVISION / ZUGELASSEN JA
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebszerstörung. Brand. Betriebsrisiko. Betriebsstockung. Arbeitsentgelt. Existenzgefährdung. Lohnfortzahlung
Leitsatz (amtlich)
§ 10 RTV Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel Schleswig-Holstein erfaßt auch alle Fälle des Betriebsrisikos. Der Arbeitgeber ist nach dem Rechtsinstitut des Betriebsrisikos grundsätzlich verpflichtet, den Arbeitnehmern das Arbeitsentgelt auch für die Zeit fortzuzahlen, in der sie wegen einer durch Brand verursachten Vernichtung des Betriebes unverschuldet nicht weiterbeschäftigt werden können. Für die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ist die Dauer der Betriebsstockung unerheblich. Die Lohnfortzahlungspflicht kann aber teilweise oder gänzlich entfallen, wenn die Zahlung der Arbeitsvergütung die Fortführung und damit die Existenz des Betriebes gefährden würde. Hierbei ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers von erheblicher Bedeutung, insbesondere, ob dem Arbeitgeber nach seiner wirtschaftlichen Lage für das Betriebsjahr, in dem der Betrieb vernichtet worden ist, der Abschluß einer Betriebsunterbrechungsversicherung zuzumuten gewesen wäre, die für die Dauer der Unterbrechung auch die volle Last der Lohnfortzahlung getragen hätte.
Normenkette
BGB §§ 323, 615
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 12.10.1988; Aktenzeichen (4) 3a Ca 1090/88) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 12. Oktober 1988 – (4) 3a Ca 1090/88 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt und vermögenswirksame Leistungen.
Der Kläger war als Arbeiter bei der Beklagten bis zum 31. Juli 1988 beschäftigt. Der Betrieb der Beklagten wurde durch einen Brand vom 9. Mai 1988 weitgehend zerstört. Die Beklagte hat den Kläger daraufhin nicht weiter beschäftigt und ihm für den Juni 1988 weder das Arbeitsentgelt noch die vermögenswirksamen Leistungen gezahlt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer im Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel Schleswig-Holstein Anwendung. § 10 Ziff. 1 des Rahmentarifvertrages bestimmt: „Bezahlt wird nur die Zeit, während der tatsächlich gearbeitet wurde, es sei denn, daß der Arbeitnehmer das Arbeitsversäumnis zu vertreten hat.”
Die Parteien sind sich darin einig, daß das Wort „Arbeitnehmer” in § 10 Ziff. 1 RTV ein Redaktionsversehen ist und stattdessen „Arbeitgeber” stehen muß.
Der Kläger hat von der Beklagten die Zahlung des Monatslohnes für den Monat Juni 1988 in Höhe von 2.112,– DM brutto zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen in Höhe von 52,– DM abzüglich vom Arbeitsamt Elmshorn erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 980,– DM netto gefordert. Er hat seine Klage darauf gestützt, daß nach der Betriebsrisikolehre das Risiko eines Brandes zu Lasten der Beklagten gehe. Sie habe einen besonders feuergefährdeten Betrieb betrieben und trage das Risiko einer Betriebsstockung. Zudem habe sie die Möglichkeit gehabt, ihn in der vom Brand verschonten Sägehalle zu beschäftigen. Die Höhe des Arbeitsentgelts habe er auf der Grundlage von 40 Stunden in der Woche und nicht aufgrund der tariflichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden errechnet, denn er habe in der Vergangenheit 8 Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche gearbeitet.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.112,– DM brutto abzüglich 980,– DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich insgesamt ergebenden Nettobetrag zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, 52,– DM vermögenswirksame Leistungen auf sein bekanntes Konto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Klageabweisung beantragt, weil sie den Kläger wegen der weitestgehenden Vernichtung des Betriebes nicht mehr habe beschäftigen können. Interimsbeschäftigungsmöglichkeiten hätten mit Abwicklung und Aufräumung nur in einem nicht nennenswerten Umfang bestanden. Ein derartiger Schaden, wie jetzt eingetreten, hätte nicht entstehen dürfen. Das bei ihr befindliche Holz sei zwar brennbar, jedoch nicht leicht entzündbar. Die Feuerwehr habe, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, ein Modell des Firmengeländes der Beklagten als Übungsmodell. Die Feuerwehr befinde sich in relativer Nähe zu ihr, und Feuerwehrübungen hätten bei ihr stattgefunden. In der 163jährigen Firmengeschichte habe es lediglich 1925 in der damaligen Sägerei einen Brand gegeben, dies ist ebenfalls unstreitig. Sie beabsichtige nicht, den Betrieb wieder aufzunehmen. Daß die Arbeitsleistung dem Kläger unmöglich geworden sei, habe sie nicht zu vertreten. Deshalb entfalle der Lohnanspruch sowohl nach den §§ 275, 323, 615 BGB als auch nach § 10 Ziff. 1 RTV. Mit der tariflichen Regelung sei das Betriebsrisiko kraft Vereinbarung zu Lasten der Arbeitnehmer geregelt. Auch nach der Betriebsrisikolehre trage der Kläger in diesem Fall das Beschä...