Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbedürfnis bei der Feststellungsklage. Vertragliche Altersgrenze als wirksame Befristungsabrede. Inhaltskontrolle bei Befristungsabreden. Kein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Bestehen eines rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann.
2. Vereinbarungen von Altersgrenzen in Individualverträgen sind als Befristung mit Sachgrund zulässig. Eine Vereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird, ohne dass es einer Kündigung bedarf, ist als Befristung auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze für den Bezug einer Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung auszulegen.
3. Befristungsabreden sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen der gerichtlichen Inhaltskontrolle zugänglich. Lässt die Befristungsabrede für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze enden soll, enthält diese Abrede weder einen Überraschungseffekt noch ist sie intransparent oder aus sonstigen Gründen unangemessen.
4. Eine Befristungsabrede, die auf die Regelaltersgrenze aus der gesetzlichen Rentenversicherung abstellt, verstößt nicht gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters. Sie ist vielmehr nach § 10 AGG gerechtfertigt und zulässig.
Normenkette
ArbGG § 46 Abs. 2 Nr. 6; ZPO § 256; SGB VI §§ 35, 99, 235 Abs. 2; BGB §§ 305c, 307 Abs. 1 S. 2; AGG §§ 1, 3, 7 Abs. 1, § 10
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Entscheidung vom 10.09.2019; Aktenzeichen 1 Ca 385 d/19) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 10.09.2019 - 1 Ca 385 d/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer einzelvertraglichen Altersgrenzenvereinbarung.
Der Kläger ist am ...1954 geboren. Die Parteien verbindet ein Arbeitsvertrag, wonach der Kläger ab 16. Juli 2012 als Entwicklungsingenieur und Pool-Manager eingestellt wurde. Sein Bruttomonatsentgelt belief sich zuletzt auf durchschnittlich 4.677,75 Euro.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie mit etwa 60 Arbeitnehmern. Sie produziert Druck- und Funketiketten (RFID-Etiketten) und vertreibt diese.
Das Arbeitsverhältnis ist seit 2013 erheblich belastet. So haben die Parteien u.a. über die Wirksamkeit verschiedener arbeitgeberseitiger Kündigungen und Zahlungsansprüche gestritten. Der Kläger erbrachte unter anderem aufgrund von Freistellungen, aber auch aufgrund eines ihm erteilten Hausverbotes seit 2013 keine Arbeitsleistung mehr. Insgesamt waren bisher mehr als 20 Verfahren zwischen den Parteien anhängig. Der letzte Kündigungsrechtsstreit betraf eine hilfsweise ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 11.07.2017 zum 31.12.2017 sowie einen von ihr gestellten Auflösungsantrag. Gegen das hierzu ergangene Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 27.02.2019 - Az. 3 Sa 363/18 - hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Letztere wurde am 21.08.2019 verworfen. Das Arbeitsverhältnis bestand danach unstreitig jedenfalls bis zum 31.03.2019 fort.
Der schriftliche Formulararbeitsvertrag vom 05.07.2012 (Anlage K1, Bl. 7 ff. d. A.) enthält folgende Regelung:
"§ 3 Vertragsdauer - Kündigung
1.
.....
6. Das Anstellungsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet oder in dem ihm der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrente zugestellt wird. Der Mitarbeiter hat die Firma von der Zustellung des Rentenbescheids unverzüglich zu unterrichten. Beginnt diese Rente erst nach der Zustellung des Rentenbescheides, so endet das Anstellungsverhältnis mit Ablauf des Tages vor Rentenbeginn."
Der Kläger vollendete am 01.03.2019 das 65. Lebensjahr. Nach den durch Gesetz vom 20.04.2007 geänderten Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 35 i.V.m. § 235 Abs. 2 SGB VI) kann der Kläger eine Regelaltersrente aber erst mit Vollendung eines Lebensalters von 65. Jahren und 8 Monaten in Anspruch nehmen. Der hiernach maßgebliche Rentenbeginn für den Kläger ist nach § 99 SGB VI unstreitig der 01.11.2019.
Mit der am 17.04.2019 anhängig gewordenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis weder zum 31.03.2019 beendet wurde noch zum 01.11.2019 beendet werden wird. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24.04.2019 Klageabweisung begehrt (Bl. 36 d. A.). In der Kammerverhandlung vom 10.09.2019 hat sie schließlich erklärt, sie habe niemals bestritten, dass das Arbeitsverhältnis vor dem 01.11.2019 endet und we...