Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Gesetzliche Absenkung auf 80 %. Konstitutive. Deklaratorische tarifliche Regelung
Leitsatz (amtlich)
§ 10 Nr. 2 MTV für die Arbeitnehmer der Erfrischungsgetränkeindustrie und des Getränkefachgroßhandels in Hamburg und Schleswig-Holstein vom 15.03.1994 qültig ab 01.01.1993, enthält hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle eine konstitutive Regelung.
Normenkette
§ 10 MTV für die Arbeitnehmer der Erfrischungsgetränkeindustrie und das Getränkefachgroßhandels in Hamburg und Schleswig-Holstein
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 14.05.1997; Aktenzeichen 4 Ca 1071/97) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.05.1997 geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 161,87 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 24.03.1997 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für die Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in den Monaten Januar und Februar 1997 einen Anspruch auf Zahlung restlichen Entgelts in Höhe von 161,87 DM brutto (100 %) gegen die Beklagte hat.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Erfrischungsgetränkeindustrie und des Getränkefachgroßhandels in Hamburg und Schleswig-Holstein vom 15.03.1994, gültig ab 01.01.1993, Anwendung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 161,87 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klagzustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat das Zahlungsbegehren der Klägerin mit der Begründung abgewiesen, daß in § 10 Ziff. 2 MTV auf das Entgeltfortzahlungsgesetz in der jeweiligen Fassung verwiesen werde. Nichts anderes ergebe sich daraus, daß in den Ziffern 3 bis 5 zu Kuren, Betriebsunfällen etc. eigenständige Regelungen enthalten seien.
Gegen dieses ihr am 18.08. zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.09. Berufung eingelegt und diese, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.11.1997 verlängert worden war, an diesem Tag begründet.
Die Klägerin trägt vor:
Nach § 10 Ziff. 2 MTV stehe ihr ein tariflicher Anspruch auf 100 %ige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu. Die Ziffern 3 bis 5 des § 10 enthielten eigenständige Regelungen zum Entgeltfortzahlungsgesetz. Im übrigen hätten die Tarifpartner in Ziff. 5 auf das Mutterschutzgesetz und das Mutterschaftsurlaubsgesetz in der jeweiligen Fassung Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.05.1997 – 4 Ca 1071/97 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 161,87 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie trägt vor:
Zu Recht gehe das Arbeitsgericht davon aus, daß es sich in § 10 Ziff. 2 MTV um eine dynamische Verweisung handele. Die eigenständigen Regelungen in den Ziffern 3 bis 5 sprächen gerade dafür, daß in § 10 Ziff. 2 die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit durch das jeweils gültige Entgeltfortzahlungsgesetz habe geregelt werden sollen. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die im Zeitpunkt des Tarifabschlusses geltende gesetzliche Regelung hätten die Tarifpartner gerade nicht getroffen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszuge wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitend gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist nach Zulassung form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hatte sie auch Erfolg.
Entgegen dem angefochtenen Urteil ist die Berufungskammer der Auffassung, daß die Klägerin aus Anlaß ihrer Arbeitsunfähigkeit in den Monaten Januar und Februar 1997 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung restlichen Entgelts in Höhe von 161,87 DM brutto (100 %) gegen die Beklagte hat. Der Anspruch ergibt sich aus § 10 Nr. 2 MTV i. V. m. den §§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 LohnFG vom 27.07.1969 – BGBl I 946 –. In § 10 MTV haben die Tarifvertragsparteien für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eine eigenständige Regelung getroffen, die von der zum 01.10.1996 gesetzlich erfolgten Absenkung des im Krankheitsfall fortzuzahlenden Entgelts auf 80 % – § 4 Abs. 1 S. 1 EntgeltFG i. d. F. v. 25.09.1996 – BGBl I 1476 – nicht berührt wird.
Die Auslegung eines Tarifvertrags erfolgt in erster Linie nach dem Tarifwortlaut. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Weiter ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustelle...