Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperverletzung. Beleidigung. Bedrohung. Arbeitskamerad. außerordentliche Kündigung. Interessenabwägung. Umdeutung. ordentlich. Betriebsfrieden
Leitsatz (amtlich)
Tätliche Auseinandersetzungen zwischen Arbeitskameraden während der Arbeitszeit im Betrieb stellen regelmäßig einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 BGB dar, weil durch Tätlichkeiten der Betriebsfrieden und der reibungslose Ablauf der Arbeit erfahrungsgemäß schwerwiegend gestört wird.
Bedroht und beleidigt der Arbeitnehmer darüber hinaus Arbeitskameraden und Vorgesetzte schwer, überwiegt auch bei einem langjährig beschäftigten schwerbehinderten Arbeitnehmer das Interesse des Arbeitgebers zur Erhaltung des Betriebsfriedens das Arbeitsverhältnis aufzulösen, das des Arbeitnehmers am Erhalt seines langjährigen Arbeitsverhältnisses,
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 03.07.1996; Aktenzeichen 5 Ca 1104/96) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 3. Juli 1996 – 5 Ca 1104/96 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
Der 52 Jahre alte Kläger wurde von der Beklagten im Jahre 1969 als Metallarbeiter eingestellt. Mit Schreiben vom 28. März 1996 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund von ihm verübter Tätlichkeiten und Bedrohungen anderer Mitarbeiter der Beklagten aus. Für eine ordentliche Kündigung wäre eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende einzuhalten. Der Kläger ist schwerbehindert, der Grad der Behinderung beträgt 50 v. H. Die mit Schreiben vom 5. März 1996 (Bl. 18 d. A.) angerufene Hauptfürsorgestelle hatte der beabsichtigten fristlosen Kündigung zugestimmt (vgl. Bescheid vom 21. März 1996 mit einem Eingangsstempel der Beklagten vom 27. März 1996, Bl. 35–37 d. A.).
Die zur Kündigung führenden Ereignisse am 1. März 1996 sind zwischen den Parteien streitig.
Die Beklagte hatte den Betriebsrat mit einem Schreiben vom 1. März 1996 (Bl. 34 d. A.) zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angehört. Der Betriebsrat stimmte am 4. März 1996 der beabsichtigten fristlosen Kündigung zu. Die Geschäftsführung der Beklagten hat den Kläger vor dem Ausspruch der Kündigung zu dem Vorfall befragt. Des weiteren hat sie die Schwerbehindertenvertretung informiert und auch die Hauptfürsorgestelle um Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung gebeten. Die Hauptfürsorgestelle hat mit Bescheid vom 21. März 1996, eingegangen bei der Beklagten am 27. März 1996, ihre Zustimmung zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung erklärt. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Widerspruch eingelegt. Dieser Widerspruch ist mit Bescheid vom 17. November 1996 zurückgewiesen worden.
Der Kläger hat die ausgesprochene Kündigung für unwirksam gehalten, da er auf einen Scherz hin vom Mitarbeiter Le. damit bedroht worden sei, dieser werde ihm ein Gehäuseteil über den Kopf schlagen. Später habe Herr Le… ihn, den Kläger, mit in Richtung der Augen des Klägers gestreckten Fingern bedroht. Außerdem sei die Kündigung wegen einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats unwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 28. März 1996 nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihrer Kündigung hat die Beklagte den Ablauf der Ereignisse am 1. März 1996 vorgetragen:
Um 9.30 Uhr habe der Kläger den Mitarbeiter Le. gefragt: „Was bist Du für einer?”, „Kommst Du aus Polen, ich kann Dich nicht ab”, „Was willst Du hier, Du Arschloch?”. Auf diese Weise habe der Kläger den Mitarbeiter weiter angepöbelt. Gegen 12.00/12.30 Uhr sei der Kläger mit einer kleinen Handpumpe (Gewicht ca. 1.500 g) auf den Mitarbeiter Le… zugegangen und habe die Hand erhoben, dann aber auf die Intervention eines Kollegen hin den Arm heruntergenommen und den Mitarbeiter Le… fortlaufend, wie schon am Morgen, beschimpft. Um ungefähr 13.45 Uhr habe der Kläger Herrn Le… in die Ecke gedrückt und kräftig ins Gesicht bzw. auf das linke Ohr geschlagen. Später habe der Kläger dem weiteren Mitarbeiter Te. einen Besen wegnehmen wollen und diesem auf die Brust geschlagen. Im Meisterbüro habe der Kläger später in Gegenwart des Betriebsratsvorsitzenden und des Personalleiters der Beklagten nur die ganze Zeit geschimpft, statt, wie aufgefordert, Stellung zum Sachverhalt zu nehmen. Gegenüber der Darstellung des Mitarbeiters Le… habe der Kläger erklärt, er habe nichts gemacht. Gegenüber dem Abteilungsleiter Bu. habe er sich dahingehend geäußert, dieser solle sich vorsehen, er sei die treibende Kraft und für das Geschehene verantwortlich. Am Montag, den 4. März 1996, habe der Kläger noch einmal gegenüber dem Abteilungsleiter geäußert, dieser solle sich vorsehen, sonst passiere etwa...