Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Absenkung einer tariflichen Ausbildungsvergütung. Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sind beide Vertragsparteien eines Ausbildungsverhältnisses gem. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden, müssen sie die jeweils geltenden Tarifverträge beachten. Eine vertragliche Regelung zur Absenkung der tariflichen Ausbildungsvergütung verstößt gegen § 4 Abs. 1 und Abs. 3 TVG und ist nichtig (§ 134 BGB).

2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.

 

Normenkette

TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 3; BBiG §§ 4-5; BGB § 134; BBTV §§ 3, 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1; TV Lohn/West § 6

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 06.04.2016; Aktenzeichen 5 Ca 3072/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.01.2018; Aktenzeichen 9 AZR 854/16)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 6. April 2016, Az. 5 Ca 3072/15, abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.988,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 3. November 2015 zu zahlen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits I. und II. Instanz trägt die Beklagte.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über tarifliche Vergütung aus einem beendeten Ausbildungsverhältnis.

Der jetzt 24-jährige Kläger war bei der Beklagten vom 01.09.2012 bis zum 31.08.2015 als Auszubildender beschäftigt. Auf das Ausbildungsverhältnis der Parteien fanden kraft beiderseitiger Tarifbildung die Tarifverträge für das Baugewerbe, insbesondere der Tarifvertrag über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV) und die Tarifverträge zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin (TV Lohn/West) Anwendung. Den Parteien war von vornherein bewusst, dass der Kläger im Betrieb der Beklagten zum Zimmerer ausgebildet werden sollte. Sie schlossen zunächst für die Zeit vom 01.09.2012 bis zum 31.08.2014 einen Berufsausbildungsvertrag für den Ausbildungsberuf Ausbaufacharbeiter, Fachrichtung Zimmererarbeiten (Bl. 59 d. A.). Nach lit D des Vertrages betrug die Vergütung im ersten Ausbildungsjahr 518,40 € brutto und im zweiten Ausbildungsjahr 796,80 € brutto.

Unter lit. G dieses Vertrages vereinbarten die Parteien Folgendes

"der ruinöse Verfall der Bauleistungspreise = 80 % des Tarifs"

Die tarifliche Ausbildungsvergütung nach § 6 TV Lohn/West in der jeweils gültigen Fassung betrug nach unbestrittenem Vortrag des Klägers während dieser zweijährigen Ausbildungszeit:

vom 01.09.2012 bis 30.04.2013

648,00 € brutto,

vom 01.05.2013 bis 31.08.2013

669,00 € brutto

vom 01.09.2013 bis 31.05.2014

1.028,00 € brutto

vom 01.06.2014 bis 31.08.2014

1.060,00 € brutto.

Am 29.08.2014 schlossen die Parteien für die Zeit vom 01.09.2014 bis zum 31.08.2015 einen weiteren Anschlussausbildungsvertrag für den Ausbildungsberuf Zimmerer bei einer monatlichen Ausbildungsvergütung von 1.339,00 € brutto bzw. ab Juni 2015 1.374,00 € brutto (Bl. 60 d. A.). Die vereinbarte und gezahlte Ausbildungsvergütung entsprach der tariflichen Ausbildungsvergütung. Unter lit A dieses zweiten Ausbildungsvertrages vereinbarten die Parteien u.a. Folgendes:

"Die Ausbildungszeit beträgt nach der Ausbildungsordnung 3 Jahre.

Diese verringert sich um 24 Monate durch:

2-jährige Ausbildung Anschlussvertrag."

Der Tarifvertrag über die Ausbildung im Baugewerbe (BBTV) enthält - soweit vorliegend von Belang - folgende Regelungen:

§ 11 Urlaubsvergütung für gewerbliche Auszubildende

(1) ...

(2) Der Auszubildende erhält ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 25 v.H. des Urlaubsentgelts, Das auf einen Urlaubstag entfallende zusätzliche Urlaubsgeld beträgt 1,4 v.H. der Ausbildungsvergütung, die der Bemessung des Urlaubsentgelts zugrunde liegt.

"§ 16 Schlussfristen

(1) In Abweichung von § 14 BRTV und § 13 RTV Angestellte verfallen alle beiderseitigen noch nicht verjährten Ansprüche aus dem Ausbildungsverhältnis und solche, die mit ihm in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 14 Abs. 2 verfällt jedoch erst dann, wenn er nicht bis zum 30. September des auf das Auslernjahr folgenden Kalenderjahres gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben wird.

(2) ...

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