Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbräuchliches Rückzahlungsverlangen bei streitigem Vertragsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

Wurde durch die Vereinbarung und Behandlung des Vertragsverhältnisses als freie Mitarbeit beim Mitarbeiter ein entsprechender Vertrauensschutz geschaffen, handelt der Arbeitgeber bzw. Dienstherr rechtsmissbräuchlich, wenn er versucht, das Vertragsverhältnis später als Arbeitsverhältnis zu deklarieren und dem Mitarbeiter die erhaltenen Vorteile wieder zu entziehen.

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 11.04.2019; Aktenzeichen 1 Ca 1659 c/18)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 11.04.2019 - 1 Ca 1659 c/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Rückzahlungsansprüche der Klägerin wegen einer vermeintlich fehlerhaften Behandlung des sie verbindenden Vertragsverhältnisses als selbständiger Dienstvertrag.

Der Beklagte ist examinierter Altenpfleger und hat eine Weiterbildung zur Ausübung als Pflegedienstleitung absolviert. Ausweislich eines Bescheids der Rentenversicherung vom 21.07.2017 ist er von der Rentenversicherungspflicht befreit (Anlage B 3, Bl. 49 d.A.). Die Klägerin betreibt in H... ein Pflegeheim. In diesem war der Beklagte auf Grundlage eines von ihm gestellten Dienstleistungsvertrags (DLV) u.a. im Jahr 2015 tätig. Dieser Dienstvertrag, der beiden Parteien nicht mehr vorliegt, sah eine Beschäftigung des Beklagten als selbständiger freier Mitarbeiter vor.

Der tatsächliche Einsatz des Beklagten erfolgte in der Weise, dass die Klägerin anfragte, ob er bereit sei, bestimmte Schichten zu übernehmen. Der Beklagte konnte sich dann frei entscheiden, ob er eine Schicht übernehmen oder ablehnen wollte. Sofern er zusagte, wurde er in den internen Schichtplan der Klägerin eingetragen. Bei der Arbeit trug er eigene Dienstkleidung, die sich farblich von der von Arbeitnehmern der Klägerin unterschied, sowie ein Namensschild mit dem Zusatz "freier Mitarbeiter". Die angestellten Arbeitnehmer trugen ein Namensschild mit dem Logo der Klägerin. Teilweise brachte der Beklagte auch eigene Handschuhe oder Pflegeutensilien, wie etwa Hautcreme, mit.

Außer für die Klägerin war der Beklagte im Jahr 2015 auch für weitere Pflegeeinrichtungen selbständig tätig.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Rückzahlung überzahlter Vergütung für den Zeitraum vom 05.01. - bis 21.07.2015 geltend. Wegen der Berechnung ihrer Forderung für die jeweiligen Tage und Stunden wird auf die Aufstellung auf den Seiten 8 bis 13 der Klage (Bl.10 - 15 d.A.) verwiesen.

Sie vertritt die Auffassung, zwischen den Parteien habe im in Rede stehenden Zeitraum entgegen der Einschätzung beider Parteien in der Vergangenheit ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dies habe eine sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung ergeben. Die Bezeichnung des Rechtsverhältnisses als "freiberuflich" sei unbeachtlich. Nach der Rechtsprechung des BAG schulde ihr der Beklagte die Differenz zwischen der ihm gewährten Vergütung und der Vergütung, die er als Arbeitnehmer verdient hätte.

Sie hat behauptet: Dem Beklagten seien bei Dienstantritt die zu versorgenden Bewohner von der Schichtleitung nach dem Bezugspflegeplan zugewiesen worden, der für den jeweiligen Wohnbereich aufgestellt gewesen sei. Die durchzuführenden Tätigkeiten hätten sich aus dem computergestützten Pflegeplanungssystem ergeben, das die Wohnbereichsleitung dort für jeden Bewohner hinterlegt habe. Bei ungewöhnlichen Situationen in der Pflege habe sich der Beklagte nach ihrem Qualitätshandbuch richten müssen. Sie habe auch die zu verabreichenden Medikamente beschafft. Berichte über seine Tätigkeiten habe der Beklagte in die computergestützte Pflegedokumentation eintragen müssen und sich dabei des PCs im Dienstzimmer des Wohnbereichs bedient. Das Mitbringen von "Pfennig-Artikeln" durch den Beklagten falle demgegenüber nicht ins Gewicht.

Der Beklagte habe regelmäßig mündliche und - in Form der im PC hinterlegten Pflegeplanungen - schriftliche Arbeitsanweisungen erhalten. Im Übrigen ergebe sich die Eingliederung des Beklagten in eine fremdbestimmte, nämlich von der Pflegedienstleitung bestimmte Organisation, nach der Rechtsprechung des BSG bereits aus der Regelung in § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI.

Der Beklagte habe sich ihr gegenüber als freier Mitarbeiter angedient. Sie hätte lieber angestellte Arbeitnehmer beschäftigt. Die seien aber nicht im erforderlichen Umfang zu bekommen gewesen. Der Befreiungsbescheid der Rentenversicherung beziehe sich nicht auf den hier in Rede stehenden Zeitraum.

Im Jahr 2015 habe die betriebsübliche Vergütung für eine examinierte Pflegefachkraft zwischen € 12,70 und € 15,00 betragen, nach dem TVöD, Teil Pflege € 16,32 (Entgeltgruppe 8). Den letztgenannten Betrag lege sie, um nicht zu viel zu verlangen, ihrer Berechnung zugrunde.

Der Beklagte hat erwidert: Er sei nicht als Arbeitnehmer, sondern freiberuflich für die Klägerin tätig gewes...

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