Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung. Arbeitnehmer über 52. kein Sachgrund. Befristungs-EU-Richtlinie. Antidiskriminierungs-EU-Richtlinie. Voraussetzung von unmittelbarer Geltung von EU-Richtlinien. Unmittelbare Geltung der Befristungs-EG-Richtlinie gegenüber § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG?
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitnehmer, der das 52. Lebensjahr vollendet und mit einem privaten Arbeitgeber einen befristeten Arbeitsvertrag nach § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG abgeschlossen hat, kann sich nicht mit Erfolg auf einen möglichen Verstoß gegen die Befristungs-EU-Richtlinie berufen (§ 5 Abs. 1 EGRL 70/99).
2. Im Gegensatz zu verschiedenen Bestimmungen des Primärrechts und den Regelungen durch EG-Verordnungen kommt EU-Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zu.
3. Eine ausnahmsweise zulässige unmittelbare Anwendbarkeit einer Vorschrift aus einer EU-Richtlinie kommt für § 5 Abs. 1a-c EGRL 70/99 nicht in Betracht, weil darin keine hinreichend bestimmten und unbedingten Regelungen zur Rechtfertigung befristeter Arbeitsverträge enthalten sind. Es sind weder Art noch Gewicht derjenigen sachlichen Gründe festgelegt, die eine Verlängerung befristeter Verträge rechtfertigen können, noch die konkret zulässige maximale Dauer sog.Kettenverträge. Auch ist die konkret zulässige Anzahl entsprechender Verlängerungen nicht vorgeschrieben.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 3 S. 4
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 11.03.2004; Aktenzeichen 1 Ca 31/04) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 11. März 2004, Az.: 1 Ca 31/04, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien führen einen Entfristungsrechtsstreit.
Der am ….1950 geborene Kläger ist seit dem 12.07.1999 aufgrund einer Vielzahl befristeter Arbeitsverträge bei der Beklagten als Aushilfe in der Produktion / Maschinenarbeiter beschäftigt. Die befristeten Arbeitsverträge reihen sich wie folgt aneinander (Bl. 11 – 14 d.GA.):
Nr. |
Abschluss |
Vertragsdauer |
Befristungsgrund |
1. |
12.07.1999 |
12.07.1999 – 05.09.1999 |
Beschäftigungsförderungsgesetz |
2. |
03.01.2000 |
03.01.2000 – 30.09.2000 |
Beschäftigungsförderungsgesetz |
3. |
29.09.2000 |
01.10.2000 – 31.03.2001 |
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4. |
19.06.2001 |
02.07.2001 – 31.08.2001 |
Urlaubsvertretung |
5. |
22.05.2002 |
01.07.2002 – 17.08.2002 |
Urlaubsvertretung |
6. |
18.02.2003 |
19.02.2003 – 31.03.2004 |
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Zum Zeitpunkt des Abschlusses des letzten befristeten Arbeitsvertrages war der Kläger 52 Jahre alt.
Der Kläger hat am 05.01.2004 Feststellungsklage erhoben und sich auf die Unwirksamkeit der letzten Befristung berufen.
Der Kläger hat vorgetragen:
Die letzte Befristung sei zwar nach § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG erlaubt. Diese nationale Norm, nach der mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr beendet hätten, ohne sachliche Begründung oder zeitliche Beschränkung befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden könnten, verstoße indessen sowohl gegen die Befristungsrichtlinie der EU (RL 1999/70/EG des Rates vom 28.06.1999) als auch gegen die Antidiskriminierungsrichtlinie (RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000). Nach § 5 des Anhangs zur RL 1999/70/EG seien aufeinander folgende Befristungen nur unter folgenden Beschränkungsmöglichkeiten möglich, die die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung in nationales Recht zu beachten hätten:
- • Festlegung sachlicher Gründe für die Verlängerung befristeter Verträge,
- • Festlegung einer insgesamt maximal zulässigen Dauer aufeinander folgender Verträge
- • Festlegung der höchstzulässigen Zeit solcher Kettenarbeitsverträge.
§ 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG sei durch keinen dieser möglichen Befristungsgründe gerechtfertigt. Die Freigabe der Befristungen für über 52-jährige Arbeitnehmer verstoße mithin gegen die RL 1999/70/EG. Dieser Verstoß sei von den nationalen Gerichten zu beachten, sie dürften die Norm nicht anwenden. Da die rechtliche Bewertung der unbeschränkten Befristungsmöglichkeit ab Vollendung des 52. Lebensjahres in der Literatur höchst umstritten sei und somit unklar sei, ob § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG dem EG-Recht entspreche, müsse der Rechtsstreit zunächst ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH durchgeführt werden. Dies gelte auch dann, wenn der Rechtsstreit – wie vorliegend – von Privatrechtssubjekten geführt werde. Inwieweit die strittige EG-Richtlinie, die ausschließlich an die Mitgliedsstaaten gerichtet sei, vorliegend unmittelbare horizontale Wirkung auch im Verhältnis von Privatrechtssubjekten entfaltete, müsse ebenfalls in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH geklärt werden.
Der Kläger hat angeregt,
dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV folgende Fragen vorzulegen:
- Ist die für über 52jährige Personen zahlenmäßig und zeitlich unbeschränkte Zulassung von nicht aus sachlichen Gründen befristeten Arbeitsverträgen durch § 14 Abs. 3 TzBfG ein Verstoß gegen Art. 2 i. V. m. § 5 des Anhangs der Richtlinie 1999/70/EG des Rates zu der EGB...