Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichheitswidrige Berechnung der Betriebsrente nach jahrelanger irrtümlicher Zahlung einer nicht auf den Kündigungszeitpunkt quotal gekürzten Betriebsrente. Feststellungsklage zur Anrechnung von Beschäftigungszeiten bei der Berechnung künftiger Betriebsrentenansprüche

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis sowie der Eintritt des Versorgungsfalles markieren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Frage der Gleichbehandlung von Betriebsrentnern und Anwärtern eine Zäsur und sind deshalb sachgerechte Anhaltspunkte für versorgungsrechtliche Bestimmungen (BAG, Urt. v. 12.08.2014 - 3 AZR 764/12 -, [...]).

2. Dies gilt dann nicht, wenn der Arbeitgeber trotz Kündigung der Versorgungsordnung dieselbe in vollem Umfang weiter anwendet und den ausscheidenden Betriebsrentnern jahrelang irrtümlich eine nicht auf den Kündigungszeitpunkt quotal gekürzte Betriebsrente zahlt. Die Zahlung der Betriebsrenten erfolgte in diesen Fällen nicht gemäß einer wirksamen Versorgungsordnung, sondern nur in vermeintlichem Normenvollzug. Nach Aufdeckung des Irrtums muss der Arbeitgeber gegenüber den ausgeschiedenen Arbeitnehmern/Betriebsrentnern und den weiterbeschäftigten Arbeitnehmern/Anwärtern bei der Anrechenbarkeit der über den Kündigungszeitpunkt hinausgehenden Beschäftigungszeiten den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz wahren.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BGB §§ 242, 611 Abs. 1; BetrAVG § 1 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 29.07.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1144/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.11.2017; Aktenzeichen 3 AZR 517/16)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.07.2015, Az. 5 Ca 1144/15, teilweise abgeändert und festgestellt, dass für die Berechnung der betrieblichen Altersversorgung des Klägers der Zeitraum vom 18.01.1979 bis zum 31.01.2011 zu Grunde zu legen ist.
  2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagte zu 90 % und der Kläger zu 10 %.
  4. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger monatlich zustehenden Betriebsrente.

Der 37-jährige Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen zumindest seit dem 18.01.1979 als Hinterdreher beschäftigt. Die Beklagte ging aus einer am 03.09.2010 vollzogenen Unternehmensspaltung der Fa. Wilhelm F. GmbH (= Rechtsvorgängerin) hervor. Infolge der Unternehmensspaltung entstanden folgende drei Unternehmen:

- L. F. Werkzeugtechnik GmbH & Co. KG (= Beklagte)

- F. Compacting GmbH (künftig: F. Compacting)

- L. Finance & Shared Services GmbH & Co. KG (künftig: Finance & Shared Services)

Dabei wurden im Wesentlichen die Produktionsbereiche der F. Werkzeugtechnik und der Beklagten zugewiesen, während die Finance & Shared den Verwaltungsbereich übernahm. Um alle drei Gesellschaften mit einer gleichmäßigen Eigenkapitalquote von ca. 40 % auszustatten, wurde im Spaltungs- und Übernahmevertrag festgelegt, dass der Finance & Shared Services keine Betriebsrentner, sondern nur Anwärter zugewiesen wurden.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten schloss mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 06.04.1988 die Betriebsvereinbarung Nr. 2/88 über die betriebliche Altersversorgung mit anliegender Versorgungsordnung (künftig: BV 2/88). Nach der Versorgungsordnung erwarben die tariflichen Arbeitnehmer mit Abschluss der BV 2/88 bzw. mit Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Anwartschaft auf betriebliches Ruhegeld in Höhe von 100,00 DM (51,13 €) bis 300,00 DM (153,39 €) monatlich und die außertariflichen Arbeitnehmer zwischen 300,00 DM (153,39 €) und 400,00 DM (204,52 €). Der Anspruch auf eine Betriebsrente war - ausgenommen die Fälle vorzeitiger Invalidität - abhängig von einer anrechenbaren Mindestdienstzeit von 25 Jahren und dem Erreichen der Vollendung des 65. Lebensjahres. Mit Zusatzvereinbarung Nr. 4/88 vom 12.12.1988 änderten die Betriebsparteien u. a. die Kündigungsregelung in § 2 Ziff. 4 BV 2/88, die in der zuletzt geltenden Fassung folgenden Inhalt hatte:

"Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung vom 01.04.1988 in Kraft und kann mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden."

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten kündigte mit Schreiben vom 30.06.1993 gegenüber dem Betriebsrat die BV 2/88 zum 31.12.1993, die indessen unstreitig wegen verspäteten Zugangs erst zum 31.12.1994 Wirksamkeit erlangte (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.05.2013, Az. 5 TaBV 33/12). Im Kündigungsschreiben erklärte die Beklagte ihre Bereitschaft, über eine neue Versorgungsordnung zu verhandeln.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten zahlte ungeachtet der Kündigung der BV 2/88 bis zur Unternehmensspaltung irrtümlich an die aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalls eine unquotierte Betriebsrente, d. h. in voller und nicht auf den Zeitpunkt 31.12.1994 quotal begr...

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