Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. qualitative Minderleistung. Darlegungslast. Kündigung wegen qualitativer Minderleistung einer Kassiererin
Leitsatz (amtlich)
Aus ungewöhnlichen Kassendifferenzen kann auch auf mangelnde Sorgfalt beim Kassiervorgang geschlossen werden. Darin liegt eine qualitative Minderleistung der Kassenkraft.
Stützt der Arbeitgeber eine Kündigung auf qualitative Minderleistung hat er zunächst darzulegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigten Arbeitnehmer erheblich überschritten hat.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Urteil vom 24.02.2010; Aktenzeichen 3 Ca 711 d/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 09.09.2009 – 3 Ca 711 d/09 – teilweise abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 30.04.2009 nicht aufgelöst worden ist.
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge) trägt die Klägerin ¼ und die Beklagte ¾.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die am … 1972 geborene Klägerin ist verheiratet und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Sie trat am 25. März 2002 in die Dienste der Beklagten. Gemäß Arbeitsvertrag vom 7. August 2002 wird die Klägerin als Verkäuferin, die auch kassiert, beschäftigt.
Nach Aufnahme ihrer Tätigkeit erhielt die Klägerin am 1. August 2002 eine Kassenschulung. Der Kassiervorgang läuft wie folgt ab: Im ersten Schritt wird die Ware gescannt, wobei der Preis hinterlegt ist. Die Summe des gesamten Einkaufs wird automatisch ermittelt. Sodann gibt die Kassiererin die ihr ausgehändigte Geldsumme ein. Die Kasse weist das Rückgeld aus. Auf der Schulung wurde der Klägerin der Kassiervorgang erklärt.
Die Kassenkräfte müssen die Kasse grundsätzlich selbst abrechnen. Anschließend werden sog. Bedienerberichte erstellt (vgl. Anlage B 8).
Mit Schreiben vom 5. November 2007 (Anlage B 1 = Bl. 20 d. A.), vom 10. Dezember 2007 (Anlage B 2 = Bl. 21 d. A.) sowie vom 12. März 2008 (Anlage B 3 = Bl. 22 d. A.) mahnte die Beklagte die Klägerin wegen Kassendifferenzen ab. In jeder Abmahnung sind zwei bzw. drei Differenzen an der Kasse der Klägerin aufgeführt. Die gerügten Differenzen belaufen sich auf 5,00 EUR bis 89,58 EUR. Die Abmahnung vom 12. März 2008 ist mit „letzte Abmahnung” überschrieben.
Am 9. November 2007 wurde ein Testkauf durchgeführt, bei dem die Klägerin eine im Wagen des Kunden liegende Ware übersah und nicht kassierte (Anlage B 4 = Bl. 23 d. A.).
Am 16. Mai 2008 nahm die Klägerin an einer ihr angebotenen Kassenschulung teil.
Mit Schreiben vom 20. April 2009 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten fristgerechten Kündigung der Klägerin an und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. April 2009 fristgemäß zum 30. Juni 2009. Die Kündigung hat die Beklagte mit weiteren durch die Klägerin verursachten Kassendifferenzen begründet.
Die Klägerin hat gemeint, die Kündigung sei sozialwidrig. Sie hat die ihr mit den Abmahnungen vorgeworfenen Kassendifferenzen bestritten. Bestritten hat sie auch die ihr von der Beklagten zur Begründung der Kündigung vorgeworfene Minusdifferenz von 99,99 EUR am 19. März 2009 und die Plusdifferenz von 39,69 EUR vom 22. Januar 2009. Die Minusdifferenz von 20,00 EUR am 27. März 2009 hat die Klägerin damit erklärt, dass sie zu wenig Wechselgeld erhalten habe. Zur Minusdifferenz von 99,99 EUR hat die Klägerin behauptet, ihr sei bei einem Transport die Kasse abgestürzt und sie sei daran gehindert gewesen, sämtliches Kleingeld einzusammeln. Sie, die Klägerin, werde nur zu 29,58 % ihrer Nettoarbeitszeit mit Kassiertätigkeiten betraut und im Übrigen in erheblichem Umfang als Packkraft eingesetzt, wobei sie Ware auszupacken und in die Regale zu sortieren habe. Während dieser auch körperlich anstrengenden Tätigkeit würde sie in unterschiedlichen Intervallen je nach Bedarf zur Kasse gerufen, um dort Kassiertätigkeiten zu verrichten. Dabei werde stets unter Zeitdruck gearbeitet, da Bedarf an der Kasse nur bestehe, wenn das Kundenaufkommen entsprechend hoch sei. Der gesamte Tagesablauf bestehe aus Springen von einer zur anderen Tätigkeit, so dass keine vertiefte Konzentration auf die Kassiertätigkeit möglich sei. Wenn die Beklagte dafür sorge, dass die Klägerin ihrer Tätigkeit als Kassiererin in Ruhe nachkommen könne, werde sie sehen, dass die Klägerin der Aufgabe gewachsen sei und die Schulungen erfolgreich gewesen seien. Im Übrigen hätte die Beklagte die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung als milderes Mittel anderweitig einsetzen und ihr eine andere Tätigkeit zuweisen können. Weil sie dies nicht getan habe, habe sie gegen das Ultima ratio-Prinzip verstoßen.
Die Klägerin hat – soweit hier von Interesse – beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündi...