Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründung bei mehreren Streitgegenständen. Keine Aufrechnung einer Netto- mit einer Bruttoforderung. Darlegungs- und Beweislast bei Klage auf Überstundenvergütung
Leitsatz (redaktionell)
1. Greift der Berufungsführer die Erstentscheidung hinsichtlich mehrerer Streitgegenstände an, muss für jeden Streitgegenstand eine Auseinandersetzung mit den Gründen im erstinstanzlichen Urteil erfolgen. Soweit sie bezüglich einzelner Streitgegenstände fehlt, ist die Berufung insoweit unzulässig.
2. Die Aufrechnung setzt gem. § 387 BGB Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung voraus. Dies ist bei einer Aufrechnung von Nettoforderungen gegen einen Bruttolohnanspruch nicht der Fall.
3. Verlangt der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung oder aus § 612 Abs. 1 BGB Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Er muss vortragen, an welchen Tagen er von bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.
Normenkette
ZPO §§ 519, 520 Abs. 3 Nr. 2; ArbGG § 66 Abs. 1; BGB § 307 Abs. 1, §§ 387, 394 Abs. 1, § 611a Abs. 2, § 612 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 27.08.2020; Aktenzeichen 1 Ca 2690/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 27.08.2020 - 1 Ca 2690/19 - teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere Überstundenvergütung in Höhe von 706,50 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 25.12.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten erster Instanz trägt der Kläger 54 % und die Beklagte 49 %.
Von den Kosten der Berufung trägt der Kläger 56 % und die Beklagte 44 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
Der Kläger war vom 01.04. bis zum 28.11.2019 bei der Beklagten als Servicekraft tätig. Der Arbeitsvertrag vom 27.03.2019 enthält unter der Ziffer III. u.a. folgende Regelungen:
"1. Für die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist die beim Arbeitgeber geltende regelmäßige Arbeitszeit maßgebend. Sie beträgt aufgrund der Tätigkeit derzeit 45 Stunden wöchentlich [...]...3. Während der Hauptsaison 01.04. bis 31.10. gilt eine 6-Tage-Woche. Der sechste Tag wird dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben und in der Vor- oder Nachsaison abgegolten. [...]"
Die Beklagte hielt den Kläger an, einen Tag in der Woche nicht zu arbeiten.
Die Parteien hatten in Ziffer IV. des Arbeitsvertrages ein monatliches Bruttofestgehalt in Höhe von 2.950,00 € vereinbart. Überstunden sollten dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden.
Unter Ziffer X. 6. des Arbeitsvertrags hatten die Parteien eine Vertragsstrafe mit folgendem Wortlaut vereinbart:
"Löst der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vorsätzlich oder fahrlässig ohne Einhaltung der Kündigungsfrist auf oder veranlasst er vorsätzlich oder fahrlässig die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber, so hat er dem Arbeitgeber eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsentgelten zu zahlen, maximal aber dasjenige Bruttoarbeitsentgelt, das er bei Einhaltung der Mindestkündigungsfrist erhalten hätte."
Die Beklagte rechnete für den Monat Oktober 2019 das Bruttofestgehalt ab, zahlte jedoch nicht. Die Abrechnung weist u.a. 19 Resturlaubstage des Klägers aus. Für den Monat November 2019 erteilte die Beklagte keine Entgeltabrechnung und leistete ebenfalls keine Zahlungen.
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zum 28.11.2019. Ab dem 19.11.2019 und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses war der Kläger arbeitsunfähig krank.
Der Kläger hat gemeint, er habe fristlos kündigen dürfen, weil die Beklagte ihm trotz mehrfacher Aufforderung das Entgelt für Oktober 2019 nicht gezahlt habe. Im Monat November 2019 habe er zunächst die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht. Ab dem 11.11.2019 habe ihn die Beklagte für eine Woche freigestellt. Urlaub sei ihm nicht gewährt worden.
Der Kläger hat behauptet, er habe im Zeitraum Mai bis Oktober 2019 insgesamt 803,5 Überstunden geleistet. Diese Überstunden habe die Beklagte angeordnet, gebilligt bzw. geduldet. Jedenfalls seien sie erforderlich gewesen. Die Überstunden seien mit 17,56 € pro Stunde zu vergüten. Dieser Lohn errechne sich auf Basis des monatlichen Festgehalts geteilt durch die tarifvertraglich zulässigen 168 monatlichen Arbeitsstunden.
Aufrechenbare Gegenansprüche der Beklagten bestünden nicht.
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ausstehendes Arbeitsentgelt für den Monat Oktober 2019 in Höhe von 2.950,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 11.11.2...