Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Berufung wegen Fristversäumnis. Eingangsstempel des gerichtlichen Nachtbriefkastens als öffentliche Urkunde mit voller Beweiskraft
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Versäumung der Berufungsfrist oder der Berufungsbegründungsfrist führt zur Unzulässigkeit der Berufung; sie ist als unzulässig zu verwerfen.
2. Der Eingangsstempel des gerichtlichen Nachtbriefkastens gilt als öffentliche Urkunde i.S.d § 418 Abs. 1 ZPO und erbringt den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Es muss in der Regel als bewiesen angesehen werden, dass ein fristgebundener Schriftsatz erst an dem im Stempel angegebenen Tag bei Gericht eingegangen ist.
Normenkette
ZPO § 418 Abs. 1, § 522 Abs. 1; ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, S. 5, Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 07.06.2017; Aktenzeichen 2 Ca 77 e/17) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 07.06.2017, Az. 2 Ca 77 e/17, wird verworfen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütung aus einem Arbeitsverhältnis.
Der 64-jährige Kläger war vom 01.03.2007 bis zum 31.12.2016 bei der Beklagten als kaufmännischer Leiter und Mitarbeiter für Akquisition und Kundenbetreuung zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.500,00 € beschäftigt. Zumindest seit Dezember 2015 war er von seinem Wohnort Hamburg aus vor allem im Außendienst tätig. Soweit hier von Belang enthält der zugrundeliegende Arbeitsvertrag folgende Regelungen (Bl. 5 ff. d. A.):
"§ 5 Vergütung, Spesenersatz
(1) Der Mitarbeiter erhält für seine vertragliche Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von EURO 2.500,-, zahlbar jeweils zum Ende eines Monats. Er erhält insgesamt 13 Monatsgehälter im Jahr.
(2) Bei Dienstreisen werden dem Mitarbeiter vom Arbeitgeber die Auslagen in Höhe der steuerlich zulässigen Pauschalbeträge erstattet. Dienstreisen sind vor Antritt mit dem Arbeitgeber abzustimmen.
(3) Die Zahlung von Gratifikationen, Tantiemen, Prämien und sonstigen Leistungen liegt - soweit nicht in diesem Arbeitsvertrag vereinbart - im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch, auch wenn die Zahlung wiederholt ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgte."
Von Januar bis einschließlich März 2016 war der Kläger ohne Entgeltfortzahlungsanspruch arbeitsunfähig krank. Mit Schreiben vom 27.09.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.12.2016. Mit Schreiben vom 04.11.2016 wies der Kläger die Beklagte u. a. darauf hin, dass diese in den letzten drei Jahren das vereinbarte 13. Monatsgehalt nicht gezahlt habe. Mit Schreiben vom 17.11.2016 lehnte die Beklagte jegliche Ansprüche des Klägers ab. Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses erstattete die Beklagte dem Kläger dessen Fahrtkosten. In der Zeit von 2015 bis November 2016 entstanden dem Kläger Fahrtkosten in Höhe von 3.126,60 €. Hierauf zahlte die Beklagte insgesamt 900,00 € an den Kläger.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht Klage auf Zahlung des 13. Monatsgehalts für 2016 (2.500,00 € brutto) sowie weitere 2.226,60 € als Fahrtkostenerstattung erhoben.
Widerklagend hat die Beklagte Rückerstattung gezahlter Nettogehälter (5.754,45 € netto) geltend gemacht, da der Kläger von Juli bis einschließlich Dezember 2016 insgesamt 542 Stunden weniger gearbeitet habe, als vertraglich vereinbart.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 07.06.2017 der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Gegen das ihr am 05.07.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.07.2017 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 19.09.2017 mit Schriftsatz vom 19.09.2017 begründet. Ausweislich des Posteingangsstempels "Briefannahmestelle 61", welcher durch die Justizangestellte des Berufungsgerichts, Frau D., mit Kürzel "Da"gegengezeichnet wurde, ist die Berufungsbegründung mit "2 Abschriften"am "20.09.2017"beim hiesigen Landesarbeitsgericht eingegangen.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 21.12.2017 ist die Beklagte darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach Ablauf der gesetzten Frist zur Stellungnahme bis zum 05.01.2018 als unzulässig zu verwerfen.
Die Beklagte trägt vor,
die Berufung sei zulässig, da die Berufungsbegründung vom 19.09.2017 fristgerecht am 19.09.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangen sei. Ihre Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin S., habe die Berufungsbegründung persönlich am Abend des 19.09.2017 in den Nachtbriefkasten des Landesarbeitsgerichts eingeworfen. Ihre Prozessbevollmächtigte wohne in Kiel, nur 1,5 km vom Landesarbeitsgericht entfernt. Es komme häufig vor, dass diese Fristsachen auf dem Heimweg in den Nachtbriefkasten einwerfe. So sei es vorliegend auch am 19.09.2019 gewesen. Sie legt zum Beweis eine eidesstattliche Versicherung ihrer Prozessbevollmächtigten vor mit folgendem Inhalt (Bl. 141 d...