Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmtheit des Klageantrags bei Gutschrift von Stunden auf das Arbeitszeitkonto. Charakteristika eines Arbeitszeitkontos. Voraussetzungen des Annahmeverzugs. Treuwidrige Zugangsvereitelung einer Willenserklärung. Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden "gutzuschreiben", hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können. Erforderlich ist dafür eine Konkretisierung des Leistungsbegehrens, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll.
2. Aus § 611a Abs. 2 BGB kann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos haben, wenn dieses nach der zugrundeliegenden Abrede der Vertragsparteien den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmt. Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und drückt damit nur in anderer Form seinen Vergütungsanspruch aus. Die Gutschrift von Arbeitsstunden setzt damit voraus, dass die gutzuschreibenden Stunden nicht vergütet wurden oder die dafür geleistete Vergütung vom Arbeitgeber wegen eines Entgeltfortzahlungstatbestands auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung hätte erbracht werden müssen.
3. Annahmeverzug setzt das Angebot der vom Arbeitgeber durch sein Direktionsrecht (§ 106 GewO) konkretisierten Arbeitsleistung voraus. Die Arbeitsleistung ist vom Arbeitnehmer gemäß § 294 BGB in eigener Person zur rechten Zeit am rechten Ort und in rechter Weise anzubieten.
4. Verhindert ein Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen (treuwidrige Zugangsvereitelung). Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat.
5. Der Arbeitnehmer kann in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seinen Personalunterlagen verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, ausnahmsweise den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht.
Normenkette
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 280, 294, 611a Abs. 2, § 1004; GewO § 106
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 27.01.2022; Aktenzeichen 5 Ca 1023 a/21) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 27.01.2022 - 5 Ca 1023 a/21 - teilweise geändert und die Beklagte verurteilt,
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dem Kläger auf seinem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 2 für den 08.04.2021 elf Arbeitsstunden gutzuschreiben
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dem Kläger auf seinem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 1 für den 15.09.2021 0,75 Arbeitsstunden gutzuschreiben
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die Abmahnung vom 30.09.2021 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen).
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Stand des Arbeitszeitkontos des Klägers sowie die Entfernung einer Abmahnung.
Die Beklagte führt in fünf Kreisen in S.-H. den Rettungsdienst durch. Der Kläger ist seit dem 01.01.2003 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Notfallsanitäter in Vollzeit tätig. Aufgrund einer Verweisung in seinem schriftlichen Arbeitsvertrag (Anlage K 1) findet auf das Arbeitsverhältnis der TVöD-VkA Anwendung. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt im Hinblick auf die Bereitschaftsdienstzeiten 48 Stunden. Die Stammwache des Klägers befindet sich in B. .
Für den Betrieb ist die Betriebsvereinbarung "Arbeitszeitgrundsätze in der RKISH - Teil: Einsatzdienst"(BVA) geschlossen, die auch für Notfallsanitäter gilt (Abschnitt 1, lit. b). In § 2 d BVA ist die Erstellung des Rahmendienstplans geregelt, aus dem sich die Schichtarten, Schichtlängen und die sich daraus ergebende Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ergibt. Aus dem Rahmendienstplan wird ein Soll-Dienstplan und daraus der Ist-Dienstplan entwickelt (§§ 2 f, 2 g BVA). § 3 a BVA regelt die Anlegung eines Arbeitszeitkontos mit zwei Unterkonten für jeden Mitarbeiter, auf denen die geleisteten und gewerteten Arbeitszeiten der Mitarbeiter erfasst werden. Abschnitt 4 regelt unter der Überschrift Ist-Dienstplanung (Konkretisierung/Änderungen im DP):
"Zur Umsetzung von Dienstplänen sind Springerdienste und Rufbereitschaften zur Kompensation von Ausfallzeiten des Einsatzdienstes notwen...