Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung. Verhaltensbedingte Kündigung. Krankheit. Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit. Arbeit während Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Beweiswert. Beweislast

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird ein Arbeitnehmer, der nachts schwere Lkw mit Hänger zu fahren hat, wegen eines grippalen Infekts „krankgeschrieben”, so spricht die Tatsache, dass er ca. 30 Minuten einen Trecker mit Hänger auf seiner Hauskoppel fährt, noch nicht dafür, dass er tatsächlich nicht arbeitsunfähig war. Da die Gefährdungslage beim Führen eines Lkw im öffentlichen Straßenverkehr erheblich höher ist, können nicht dieselben Maßstäbe angelegt werden.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Urteil vom 20.09.2001; Aktenzeichen 4 Ca 998 c/01)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 20.09.2001 – 4 Ca 998c/01 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung der Beklagten.

Der Kläger ist 35 Jahre alt und seit dem 01.02.1991 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Er fährt für die Beklagte LKW mit Kühlaggregaten, sogenannte Kühlzüge, und wird ausschließlich zu Nachtfahrten eingesetzt. Hierfür erhielt er im Durchschnitt 5.008,00 DM brutto monatlich. Darüber hinaus ist der Kläger Nebenerwerbslandwirt, wobei strittig ist, ob dies der Beklagten bekannt war.

In der Zeit vom 14.06.2001 bis zum 23.06.2001 war der Kläger erkrankt. Ob der Kläger deshalb arbeitsunfähig war, ist strittig. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt vor. Die Beklagte schaltete den sozialmedizinischen Dienst ein, der den Kläger für den 25.06.2001 zur Untersuchung bestellte. Diesen Termin nahm der Kläger nicht mehr wahr.

Am 19.06.2001 gegen 10.00 Uhr steuerte der Kläger auf seiner Hauskoppel für mindestens 30 Minuten einen Traktor mit anhängendem Silagewagen. Hierbei wurde er von zwei Mitarbeitern der Beklagten, dem Fuhrparkleiter und Betriebsratsmitglied Me., sowie dem Mitarbeiter Ei. beobachtet. Beide hatten sich auf Grund von im Betrieb kursierenden Gerüchten, der Beklagte habe sich krankschreiben lassen, um seine Silagearbeiten zu erledigen, dorthin begeben.

Der zur beabsichtigten fristlosen Kündigung unterrichtete Betriebsrat teilte am 21.6.2001 mit, er werde eine Stellungnahme nicht abgeben. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am selben Tag fristlos mit der Begründung, der Kläger habe mangels Arbeitsunfähigkeit unentschuldigt gefehlt und hierdurch das Vertrauensverhältnis zerstört.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe den Traktor am 19.06.2001 lediglich 30 Minuten ohne körperliche Anstrengung gelenkt. Er war der Auffassung, diese Betätigung habe nicht im Widerspruch zu der der Arbeitsunfähigkeit zugrundeliegenden Erkrankung gestanden. Schließlich habe er sich an der frischen Luft aufhalten dürfen. Das Fahren mit dem Traktor habe den Genesungsverlauf nicht beeinträchtigt. Darüber hinaus sei diese 30-minütige Tätigkeit nicht mit dem arbeitsvertraglich geschuldeten vollzeitigen Lenken eines LKW bei Nacht vergleichbar. Die geschuldete Arbeitsleistung habe er wegen der möglichen krankheitsbedingten Konzentrationsschwächen sowie des geforderten verantwortlichen Umgangs mit hochwertigen Verkehrsmitteln der Beklagten im Straßenverkehr nicht ausüben können. Insoweit habe er sich durch das 30-minütige Lenken des Traktors während der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten weder unredlich noch vertragsverletzend verhalten.

Der Kläger hat beantragt,

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 21.06.2001 nicht beendet ist, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger sei in der Zeit vom 14.06.2001 bis zum 23.06.2001 nicht arbeitsunfähig gewesen. Weiter hat sie behauptet, der Kläger habe den Traktor über einen längeren Zeitraum als die von ihr beobachteten 30 Minuten gelenkt. Sie hat die Auffassung vertreten, das Lenken des Traktors sei nicht mit der Arbeitsunfähigkeit vereinbar. Der Kläger habe sich vielmehr krankschreiben lassen, um seine Erntearbeiten erledigen zu können. Hierdurch habe der Kläger eine grobe Arbeitspflichtverletzung begangen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört.

Mit Urteil vom 20.09.2001 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das am 04.10.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und diese begründet.

Die Beklagte behauptet, gem. § 3 Abs. 2 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages müsse eine Nebenbeschäftigung des Klägers von der Beklagten genehmigt werden. Diese Genehmigung liege nicht vor. Durch die Arbeit habe der Kläger seine Genesung gefährdet. Zudem sei der Kläger in der fraglichen Zeit nicht arbeitsunfähig gewesen. Sonst hätte er keine ...

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