Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. schwerbehinderten Menschen Gleichgestellter. Bescheid des Integrationsamtes. Nachweis der Schwerbehinderung
Leitsatz (amtlich)
Der Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten Kündigung bedarf es nach § 90 Abs. 2 a Alt. 1 SGB IX nicht, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft nicht durch einen entsprechenden Feststellungsbescheid oder Offenkundigkeit nachgewiesen ist. Der Nachweis muss objektiv vorliegen, auf die Kenntnis des Arbeitgebers kommt es nicht an. Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung über die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft (formlos) in angemessener Frist informieren, damit er den Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch nicht verwirkt.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2; SGB IX §§ 85, 90 Abs. 2a
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 21.10.2008; Aktenzeichen 3 Ca 1967/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 21.10.2008, Az. 3 Ca 1967/08, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der 45-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.06.1998 als Abteilungsleiter für den EDV-Bereich zu einem Monatsgehalt von EUR 4.595,00 brutto beschäftigt. Mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 12.09.2007 wurde der Kläger rückwirkend zum 09.03.2007 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt (Bl. 9 d. A.).
Anfang November 2006 musste sich der Kläger einer Bandscheibenoperation unterziehen und war aufgrund dessen bis ca. Ende Februar 2007 arbeitsunfähig krank. Ab Anfang März 2007 nahm er seine Arbeit wieder auf. Mit Schreiben vom 28.03.2007 kündigte die Beklagte dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen fristgerecht zum 30.06.2007. Gegen diese Kündigung wendete sich der Kläger in einem Vorprozess (ArbG Lübeck 2 Ca 1057/07 = LAG Schl.-H. 5 Sa 455/07). Mit Urteil vom 18.10.2007 gab das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage statt. Die hiergegen seitens der Beklagten eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 20.05.2008 rechtskräftig zurück. In der dortigen Berufungsverhandlung vom 20.05.2008 hatte der Kläger zu Protokoll erklärt, dass er rückwirkend Schwerbehinderten gleichgestellt sei mit 30 %. Den entsprechenden Antrag habe er 21 Tage vor Ausspruch der (betriebsbedingten) Kündigung gestellt. Die Beklagte bestritt dies und erklärte, dass nach ihrem Kenntnisstand der Antrag abgelehnt worden sei. Mit Schreiben 18.06.2008 forderte die Beklagte den seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt G., auf, ihr eine Kopie des Gleichstellungsbescheides zu überlassen (Bl. 35 d. A.). Daraufhin übersandte Rechtsanwalt G. den Widerspruchsbescheid vom 20.07.2007 über die Anerkennung der 30%igen Schwerbehinderung seit November 2006 mit der Bemerkung, dass eine Entscheidung des Sozialgerichts über die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung noch ausstehe.
Während des Laufs des Vorprozesses erkrankte der Kläger und war seit Februar 2008 fortlaufend bis Mitte August 2008 arbeitsunfähig. Nach Zustellung des Berufungsurteils (5 Sa 455/08) beauftragte die Beklagte eine Detektei damit, den Kläger zu beobachten. Ausweislich des Ermittlungsberichtes vom 27.06.2008 reparierte der Kläger unstreitig am 24.06.2008 von 12:25 Uhr bis 14:45 Uhr einen Traktor. Am 25.06.2008 führte er unstreitig von 11:50 Uhr bis 17:15 Uhr von einem Baugerüst aus Malerarbeiten an seinem Haus aus. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 26.06.2008 – dem Kläger per Boten zugestellt am 27.06.2008 – fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30.09.2008.
Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 15.07.2008 Kündigungsschutzklage erhoben und mit der Klagschrift den Gleichstellungsbescheid vom 12.09.2007 eingereicht.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Mit Urteil vom 21.10.2008 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage in vollem Umfang stattgegeben. Aus den von den Detektiven nicht näher beschriebenen Tätigkeiten des Klägers am 24.06 und 25.06.2008 könne weder geschlossen werden, dass er eine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht habe, noch dass er sich genesungswidrig verhalten habe. Insbesondere könne dem Bericht nicht entnommen werden, dass der Kläger über erhebliche Zeiträume körperliche Anstrengungen unternommen habe, die mit dem behaupteten Bandscheibenvorfall nicht in Einklang zu bringen wären. Ungeachtet dessen habe es vor Ausspruch einer Kündigung wegen genesungswidrigem Verhaltens einer einschlägigen Abmahnung bedurft.
Ge...