Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratstätigkeit. Umsetzung. Freistellung. Schichtdienst. Nachtzuschläge. Freistellung von Schichtarbeit wegen Betriebsratsarbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem Sinn und Zweck des § 37 Abs. 2 BetrVG können neben der reinen Arbeitsfreistellung auch andere, die vertragliche Arbeitsleistung des Betriebsratsmitglieds betreffende Maßnahmen geboten sein, um eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Betriebsratsarbeit zu ermöglichen (BAG, Beschl. v. 27.06.1990 – 7 ABR 43/89 –). Solche Maßnahmen können z. B. in der Versetzung von der Wechsel – in die Tagesschicht oder der Versetzung vom Außen – in den Innendienst bestehen.
2. Angesichts des dem Betriebsverfassungsrecht beherrschenden Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erweist sich im Einzelfall die Änderung der Arbeitsbedingungen (hier: Umsetzung von Wechsel – in die Tagesschicht) im Verhältnis zur Arbeitsbefreiung ohne Minderung des Arbeitsentgelts als das die betrieblichen Interessen weniger tangierende Mittel.
3. Der Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Beibehaltung der geschuldeten Vergütung nach § 37 Abs. 2 BetrVG bezieht sich in erster Linie auf die vorübergehende Arbeitsbefreiung aus konkretem Anlass.
4. In dem Individualprozess eines Betriebsratsmitglieds über Höhe und Grund des ihm nach § 37 Abs. 2 BetrVG zustehenden Lohns sind die betriebsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen (hier: Erforderlichkeit der Umsetzung von Wechsel – in Normalschicht) des Lohnanspruchs als Vorfrage mit zu entscheiden. Betrifft der Streit indessen allein die betriebsverfassungsrechtliche Frage, ob die geforderte Arbeitsbefreiung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist, so ist dieser Streit im betriebsverfassungsrechtlichen Beschlussverfahren zu entscheiden.
5. Es ist dem einzelnen Betriebsratsmitglied mithin versagt, sich im Rahmen seiner Lohnklage nach § 37 Abs. 2 BetrVG pauschal, d. h. losgelöst von konkreten Einzelfällen, darauf zu berufen, dass für die ordnungsgemäße Erledigung der Betriebsratsaufgaben generell die Umsetzung von Wechselschicht in die Normalschicht erforderlich gewesen sei. Diese Streitfrage ist zwischen den Betriebsparteien (nicht Arbeitsvertragsparteien) im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens zu prüfen.
Normenkette
BetrVG §§ 138, 37 Abs. 2, § 78 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 17.02.2005; Aktenzeichen 1 Ca 3491/04) |
Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 17.02.2005, Az.: 1 Ca 3491/04, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Zahlung von Nachtzuschlägen.
Der 41-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit dem Jahr 2000 als Elektriker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Rauch- und Schnupftabakindustrie Anwendung. Nach § 3 des Arbeitsvertrages ist der Kläger zur Schichtarbeit verpflichtet. Im Betrieb der Beklagten wird im folgenden Drei-Schicht-System gearbeitet:
• |
Frühschicht: |
06:00 |
– |
14:00 Uhr |
• |
Spätschicht: |
14:00 |
– |
22:00 Uhr |
• |
Nachtschicht: |
22:00 |
– |
06:00 Uhr. |
Daneben gibt es eine Normalschicht von 06:00 bis 15:00 Uhr und freitags bis 11:15 Uhr.
Der Kläger ist Vorsitzender des 7-köpfigen Betriebsrats. Die regelmäßigen Betriebsratssitzungen finden donnerstags ab 13:30 Uhr statt. Sofern der Kläger in der Nachtschicht arbeitete, wurde er in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag spätestens ab 4:00 Uhr, teilweise bereits ab 2:00 Uhr, unter Vergütungsfortzahlung bis 6:00 Uhr freigestellt, um am Donnerstag an der Betriebsratssitzung teilnehmen zu können. Seit August 2002 begehrte der Betriebsrat von der Beklagten die vollständige Freistellung eines seiner Mitglieder nach § 38 BetrVG. Mit Schreiben vom 29.08.2002 zeigte der Betriebsrat der Arbeitgeberin an, dass er am 29.08.2002 beschlossen habe, dass ein Betriebsratsmitglied gemäß § 38 BetrVG von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen sei (Bl. 27 d.GA.). Unstreitig war der Schwellenwert von § 38 Abs. 1 BetrVG zur Freistellung eines Betriebsratsmitglieds, d. h. mindestens 200 Arbeitnehmer, noch nicht erreicht, sodass die Beklagte der beantragten Freistellung nicht entsprach. Auf der Betriebsratssitzung vom 09.09.2002 zog der Betriebsrat diesen Freistellungsantrag zurück. Am 23.01.2003 beschloss der Betriebsrat, dass der Kläger als Betriebsratsvorsitzender von der Schichtarbeit freizustellen sei. An der Betriebsratssitzung vom 20.03.2003 nahm der Verwaltungsleiter D… teil. Unstreitig erklärte der Zeuge D…, dass der Kläger in die Normalschicht versetzt, aber vertretungsweise auch in anderen Schichten eingesetzt werden könne. Welchen Grund bzw. welches Motiv der Zeuge D… für die Versetzung mitteilte, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Wirkung ab dem 01.04.2003 arbeitete der Kläger in der Normalschicht. Anfang März 2003 war der Kläger vertretungsweise in der Nachtschicht eingesetzt. Fü...