Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 467
In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, § 172 Abs. 1 ZPO. Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Dokument auch dadurch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das Dokument dem anderen Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt), § 195 Abs. 1 ZPO. Für die Zustellung an einen Anwalt gilt § 174 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1, 3 entsprechend, § 195 Abs. 1 S. 5 ZPO. Somit ist die Zustellung ist in diesen Fällen auch per Telefax zulässig, § 174 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Zustellung eines elektronischen Dokuments ist dabei gem. § 195 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 174 Abs. 3 S. 1 ZPO möglich. Bis zum 1.1.2018 ist dabei das Dokument mit einer qeS zu versehen und gegen die unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen, § 174 Abs. 3 S. 3 ZPO. Ab 1.1.2018 tritt die Neufassung von § 174 ZPO in Kraft; das Dokument ist dann auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO zu übermitteln und gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen. Ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO ist dann das beA. Zum Nachweis der Zustellung von Anwalt zu Anwalt genügt das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt worden ist, § 195 Abs. 2 S. 1 ZPO. § 174 Abs. 4 S. 2, 3 gilt entsprechend, § 195 Abs. 2 S. 2 ZPO. Der Anwalt, der zustellt, hat dem anderen Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen, § 195 Abs. 2 S. 3 ZPO. Ab dem 1.1.2018 gilt dann gem. § 195 Abs. 2 S. 2 ZPO der § 174 Abs. 4 S. 2 bis 4 ZPO in der dann gültigen Fassung entsprechend.
Rz. 468
Probleme mit der Zustellung von Anwalt zu Anwalt haben sich durch die Entscheidung des BGH im Oktober 2015 ergeben, der entschieden hat, dass sich aus § 14 BORA keine Pflicht zur Entgegennahme einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt ableiten lässt und ein Anwalt, der ein entsprechendes Empfangsbekenntnis nicht zurücksendet, keine ahndbare Berufspflichtverletzung begeht.
Rz. 469
So hat inzwischen auch das OLG Karlsruhe wie folgt entschieden:
Zitat
"Ist der Versuch, eine durch Urteil erlassene einstweilige Unterlassungsverfügung von Anwalt zu Anwalt zuzustellen (§ 195 ZPO), an der verweigerten Rückgabe des Empfangsbekenntnisses durch den bestellten Prozessvertreter des Verfügungsbeklagten gescheitert, liegt keine vollendete und damit wirksame Vollziehung im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO vor."
Rz. 470
Wird allerdings gezielt, z.B. durch geschäftsunübliche Sitzverlegung, die Zustellung einer einstweiligen Verfügung vereitelt, kann dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden:
Zitat
"Ergibt sich aus den Gesamtumständen, dass der Antragsgegner die zum Zwecke der Vollziehung einer Unterlassungsverfügung erforderliche Zustellung an ihn gezielt vereitelt hat, ist es ihm unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Versäumung der Vollziehungsfrist zu berufen."
Rz. 471
Der Gesetzgeber hat inzwischen § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO dahingehend geändert, dass hier eine Ermächtigungsgrundlage für die Satzungsversammlung bezogen auf die Zustellung von Anwalt zu Anwalt aufgenommen wird (ebenso in § 52b Abs. 2 Nr. 7 PAO).
Rz. 472
Die Satzungsversammlung hat am 19.5.2017 § 14 S. 1 BORA wird daher ab 1.1.2018 wie folgt neu gefasst.
Der Rechtsanwalt hat ordnungsgemäße Zustellungen von Gerichten, Behörden und Rechtsanwälten entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen.
Rz. 473
§ 14 S. 2 BORA bleibt wie bisher:
Wenn der Rechtsanwalt bei einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung die Mitwirkung verweigert, muss er dies dem Absender unverzüglich mitteilen.
Rz. 474
Die Änderung tritt zum 1.1.2018 in Kraft. § 14 BORA gilt damit ab diesem Zeitpunkt für alle Zustellungen von Gerichten, Behörden und von Anwalt zu Anwalt.
Rz. 475
Vorsicht:
Wenn ein Anwalt weiterhin nicht an einer ordnungsgemäßen Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitwirkt, hat er ein berufsrechtliches Problem; die Zustellung dürfte damit aber gleichwohl nicht wirksam sein, denn in § 195 ZPO fehlt es an einer Zustellungsfiktion bei verweigerter Annahme bzw. ausbleibender unverzüglicher Reaktion.
Rz. 476
Für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt sind zudem bis zum 31.12.2017 andere Anforderungen zu beachten (Zustellung von Anwalt zu Anwalt als elektronisches Dokument nur mit qeS) als ab dem 1.1.2018 (Zustellung elektronischer Dokumente via sicherem Übermittlungsweg, z.B. beA, möglich auch ohne qeS, sofern keine Anwendung der Opt-Out-Klausel, Rdn 282 ff., 294 ff.). Im Hinblick auf die BGH-Entscheidung und die bis 31.12.2017 unklare Rechtslage muss bei fehlender zügiger Rücksendung des Empfangsbekenntnisses des Gegenanwalts auf andere zulässige Zustellwege zurückgegriffen werden, wie z.B. die Zustellung via Gerichtsvollzieher. Auf die hierdurch sich ergebenden Mehrkosten kann die Gegenseite hingewiesen werden. Dem Leser empfehlen wir im Hinblick auf die hohe Praxis...