Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
Rz. 785
Soweit eine formularmäßige Sicherungszweckerklärung die Bürgenhaftung auf alle bestehenden oder künftigen Forderungen erstreckt, ist neben der Anwendung von § 305c BGB die Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 BGB eröffnet. § 765 Abs. 1 BGB bezeichnet als vertragstypische Pflicht der Bürgschaft die Einstandspflicht des Bürgen für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten. Der Gesetzgeber geht also zunächst davon aus, dass die Bürgschaft der Absicherung einer Forderung dient. Damit steht außer Frage, dass die Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB bei einer darüber hinausgehenden Sicherungsabrede eröffnet ist, weil die Haftungserweiterung auf mehrere Forderungen zumindest eine die gesetzliche Regelung ergänzende Regelung i.S.d § 307 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BGB beinhaltet.
Rz. 786
Praktische Bedeutung hat dies, weil ein Hinweis auf die Reichweite einer Sicherungszweckerklärung den Überraschungscharakter einer Klausel und damit die Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB, nicht aber von § 307 BGB ausschließen kann. Im Gegensatz zu § 305c Abs. 1 BGB ist bei der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ein objektiver Maßstab anzuwenden. Entscheidend ist das objektive Bestehen einer Anlassverbindlichkeit für die Übernahme der Bürgschaft. Auf die Vorstellungen des Bürgen kommt es nicht an. Eine weite Sicherungszweckerklärung ist gemäß § 307 BGB unabhängig davon unwirksam, ob der Bürge die Reichweite seiner Erklärung erkannt hat, wenn sie Forderungen erfasst, die objektiv nicht Anlass der Bürgschaftsübernahme waren. Dies gilt vor allem, wenn die Bürgschaft zu einer Haftung für Forderungen führt, die selbst oder in Kombination mit der Anlassforderung der Höhe nach über das zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger vereinbarte Kreditlimit hinausgehen. Es besteht in diesem Fall die Gefahr, dass trotz Tilgung aller bestehenden Ansprüche des Gläubigers die Bürgschaft wieder auflebt. Soweit eine Höchstbetragsbürgschaft vereinbart wurde, gilt nichts anderes. Auch hier kann eine Haftung begründet sein, obwohl zwischenzeitlich alle Forderungen getilgt wurden.
Rz. 787
Die Haftung für Umschuldungskredite im Rahmen einer weiten Sicherungszweckerklärung kann nicht formularmäßig vereinbart werden. Ob aber tatsächlich eine Schuldumschaffung oder nur eine – in AGB unter Umständen zulässige – Vertragsänderung gewollt war, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Ist eine Tilgungsaussetzung und eine Umbuchung auf ein anderes Konto vereinbart oder wird ein Kontokorrentkredit in einen Tilgungskredit umgewandelt, ist nur von einer Vertragsänderung auszugehen, die nicht mit dem Verlust anderer Sicherheiten verbunden ist, sodass eine in Bezug hierauf vorformulierte Haftungserweiterung zulässig ist. Sobald aber die Identität der ursprünglichen Forderung durch die Vertragsänderung verloren geht, kann für diese Forderung keine Haftungserweiterung mehr vereinbart werden.
Rz. 788
Eine formularmäßige Sicherungszweckerklärung, die den Haftungsumfang auf alle bestehenden Forderungen unabhängig davon erstreckt, ob sie Anlass der Haftungsübernahme waren, wird in Literatur und Rechtsprechung überdies auch bei Fehlen des Überraschungscharakters als Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gewertet. Durch eine weite Zweckerklärung wird dem Bürgen die Reichweite seiner Haftung verschleiert, sodass die Bestimmung nicht mehr klar und verständlich ist. Bereits aus diesem Grund beinhaltet sie gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung des Bürgen. Werden die Forderungen, auf die sich die Bürgenhaftung neben der Anlassforderung bezieht, einzeln aufgezählt, ist indessen dem Transparenzgebot genüge getan.
Rz. 789
Mit einer formularmäßigen Bestimmung, durch die die Haftung auch auf alle künftigen Forderungen des Gläubigers erstreckt wird, verstößt der Verwender gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da mit ihr von dem in § 767 Abs. 1 S. 3 BGB niedergelegten Verbot der Fremddisposition abgewichen wird. Danach wird durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach Übernahme der Bürgschaft abschließt, die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert (Bestandsakzessorietät). Der Gesetzgeber wollte zum Schutz des Bürgen seine Haftung für Verbindlichkeiten verhindern, auf deren Entstehung er keinen Einfluss mehr hat. Eine unbegrenzte, nicht mehr kalkulierbare Haftungserweiterung stünde im offenen Widerspruch zum Leitbild des Bürgschaftsvertrags. Eine formularmäßige Zweckerklärung, wonach der Bürge zwar nicht für einen höheren Betrag haftet als denjenigen, der Anlass der Bürgschaftsübernahme war, sondern für Verbindlichkeiten mit anderer Tilgungsdauer und Besicherung, benachteiligt den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Dagegen spricht nicht, dass der Gesetzgeber eine Haftungsübernahme für künftige Forderungen in § 765 Abs. 2 BGB ausdrüc...