Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
Rz. 1173
Zu den Ansprüchen bei Flugunfällen, Flugausfällen und Verspätungen gilt im Übrigen Folgendes: Die Rechtslage bei Flugunfällen, Flugausfällen und Verzögerungen ist oft unklar. Im Folgenden soll versucht werden, das Thema näher auszuleuchten. Zuletzt hatten sowohl der Streik der Lufthansa wie auch die Vulkanausbrüche in Island 2010 und im Mai 2011 sowie Mitte Juni 2011 in Chile Fragen der Entschädigung aufgeworfen.
I. Flugunfälle
Rz. 1174
Die Zahl der Flugzeugkatastrophen scheint sich erhöht zu haben, trotzdem werden die rechtlichen Fragen wenig erörtert und bleiben Spezialisten vorbehalten. Derzeit sind etwa 390.000 Luftfahrzeuge registriert von denen nur etwa 10.000 klassische Passagierjets sind. Allgemein gilt das Flugzeug als das sicherste Transportmittel. Trotzdem hat insbesondere der Absturz der Concorde vor 17 Jahren das Thema der Entschädigung der Angehörigen bei Flugunfällen aufgeworfen.
1. Anwendbares Recht
Rz. 1175
Mit dem Fluggast selber bestehen vertragliche Beziehungen zum Reiseveranstalter, nicht aber zur Fluglinie. Nach dem Warschauer Abkommen bzw. ab 2004 dem Montrealer Abkommen (MÜ) und der VO 2027/97 haftet jedoch der Transportführer für Tod, Körperverletzung oder sonstige Gesundheitsschädigung nur bis maximal 100.000 Sonderziehungsrechten (SDR) des Internationalen Währungsfonds (entspricht 110.000 EUR) je Anspruchsteller, Gerichtskosten eingeschlossen. Dies ist ein Fall der Gefährdungshaftung, auf Verschulden kommt es nicht an. Ebenfalls besteht ein Vorschussanspruch auf einen Teilbetrag. Der Anspruch geht auf die Erben und Angehörigen im Todesfalle über. Eine höhere Haftung kommt bei grober Fahrlässigkeit des Transportführers in Betracht; hier sind diese Obergrenzen aufgehoben und der Anspruch kann weit darüber hinausgehen. Damit haftet das Luftfahrtunternehmen für vermutetes Verschulden in unbegrenzter Höhe. Einer über 100.000 SDR hinausgehenden Haftung kann das Luftfahrtunternehmen also nur durch den Nachweis fehlenden Verschuldens entgehen. Das Warschauer Abkommen von 1929 sollte die noch junge Luftfahrtbranche vor allzu großen Schadenersatzforderungen schützen und zugleich den Passagieren ermöglichen, einerseits zu zahlbaren Tarifen zu fliegen, andererseits grundsätzlich angemessene Entschädigung zu erlangen. 1952 musste jedoch erstmals eine Fluggesellschaft – genauer deren Versicherer – nach einem Gerichtsurteil mehr zahlen als der Flugschein auswies. Dies deshalb, weil nachgewiesen werden konnte, dass die Maschine schlecht gewartet war. Eine Entschädigung von 165.000 $ wurde gewährt. Diese Summen waren Grund für viele amerikanische Kanzleien sich zu spezialisieren. Um eine adäquate Deckung durch die Versicherung zu garantieren, wurden hierdurch ausgelöst die Versicherungssummen und Beiträge massiv erhöht. Versicherungspolicen mit 225 Mio. Dollar Deckung für Kasko und bis zu 2 Mrd. Dollar für Haftpflicht wurden abgeschlossen. Anzusetzen war hierbei der Neupreis einer Boeing 747 mit etwa 200 Millionen Dollar. Für den Fall einer Katastrophe wurden Passagier- und andere Haftpflichtansprüche hinzugesetzt. Die Luftfahrtbranche – Fluggesellschaften, Hersteller, Flughäfen – verlangt deshalb Deckungen mit entsprechend hohen Policenlimiten. 1994 erreichte der Luftfahrtversicherungsmarkt ein Prämienvolumen von ungefähr 5 Mrd. Dollar; derzeit liegt er etwa beim doppelten Volumen.
In den letzten zehn Jahren schwankte die Schadenlast der Luftfahrtversicherung zwischen 500 Mio. und 2 Mrd. Dollar jährlich. Die Explosion vom 4.11.2010 führte zu Entschädigungszahlungen von Rolls-Royce an Qantas von 70 Mio. EUR.
Rz. 1176
Wesentlich für die Versicherungsbedingungen ist auch das zur Anwendung gelangende Recht: Auf Binnenflügen gilt jenes des entsprechenden Landes, auf internationalen Flügen gilt aufgrund der Warschauer Konvention im Grundsatz das Limit von 100.000 SDR.
2. Gerichtsstand
Rz. 1177
Bei einem internationalen Flug reicht es für eine Klage in den USA aus, dass der Geschädigte oder ...