Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
1. Kardinalpflichten
Rz. 959
Wie jede AGB-Klausel muss auch eine Freizeichnungsklausel klar und verständlich sein, um nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu verstoßen. Seit seiner Entscheidung vom 20.7.2005 ("Honda-Urteil") geht der BGH von einem solchen Verstoß aus, wenn in einer Haftungsklausel der Begriff "Kardinalpflichten" verwendet und nicht zumindest abstrakt umschrieben wird. Der BGH ist der Meinung, dass es sich bei dem Begriff "Kardinalpflichten" um einen in der Gesetzessprache unbekannten Begriff handelt, der von der Rechtsprechung verwendet und konkretisiert wird. Von dem Vertragspartner des Klauselverwenders könne nicht erwartet werden, dass dieser als juristischer Laie den Inhalt dieser Rechtsprechung kenne. Daher könne dieser auch nicht erfassen, was mit dem Begriff "Kardinalpflichten" gemeint ist.
Rz. 960
Zwar ist es nach Ansicht des BGH nicht erforderlich, dass die für den jeweiligen Vertragstypus wesentlichen Vertragspflichten in einer Haftungsfreizeichnungsklausel konkret aufgezählt oder Regelbeispiele genannt werden, doch bedarf es dann einer abstrakten Erläuterung des Begriffs der Kardinalpflichten, wie sie von der Rechtsprechung definiert werden.
Rz. 961
Im Schrifttum ist das Urteil des BGH vom 20.7.2005 auf massive Kritik gestoßen, soweit es die Verwendung von Freizeichnungsklauseln im unternehmerischen Geschäftsverkehr betrifft. Denn der BGH unterstellt, dass der Begriff der Kardinalpflichten auch einem Unternehmer nicht geläufig ist. Für den Geschäftsverkehr mit Verbrauchern kann in der Tat von einem Verstoß gegen das Transparenzgebot ausgegangen werden. Es ist aber zu bezweifeln, dass die abstrakte Erläuterung des Begriffs der Kardinalpflichten gemäß der in der Rechtsprechung gebräuchlichen Definition für den Verbraucher klarer und verständlicher ist. Dennoch sollten die wesentlichen Vertragspflichten bzw. die Kardinalpflichten bei der Klauselgestaltung gemäß den Vorgaben des BGH abstrakt erläutert werden, da eine hiervon abweichende Klauselgestaltung stets Gefahr läuft, einer gerichtlichen Inhaltskontrolle nicht standzuhalten. Selbst der Begriff der wesentlichen Vertragspflichten ist zwischenzeitlich vom OLG Celle als intransparent beurteilt worden, obwohl der Gesetzgeber in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine nahezu gleichlautende Formulierung verwendet.
Rz. 962
Vor dem Hintergrund, dass auch eine abstrakte Umschreibung der wesentlichen Vertragspflichten in der Haftungsklausel mit dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kollidieren könnte, wird vereinzelt vorgeschlagen, die Haftungsfreizeichnung auf konkret benannte "unwesentliche" Einzelpflichten zu beschränken. Eine entsprechende Vorgehensweise birgt allerdings den Nachteil, dass der Haftungsausschluss ausschließlich für die in der Vertragsregelung bezeichneten "unwesentlichen" Einzelpflichten gelten würde. Für die vom Klauselverfasser nicht bedachten Fälle würde der Klauselverwender weiterhin haften. Zudem dürfte im Regelfall ein gewisses Restrisiko nicht auszuschließen sein, dass – angesichts der sehr weit gefassten Definition der wesentlichen Vertragspflichten – ein Gericht zu der Auffassung gelangen könnte, dass der konkrete Haftungsausschluss doch noch eine wesentliche Vertragspflicht erfasst.
2. Vertragstypisch vorhersehbarer Schaden
Rz. 963
Es dürfte auch hinsichtlich des Begriffs des vertragstypisch vorhersehbaren Schadens zu bezweifeln sein, dass dieser klar und verständlich i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ist. Nicht nur der rechtsunkundige Laie, sondern auch Richter und Rechtsanwälte werden die Frage, ob eine bestimmte Schadensposition vertragstypisch vorhersehbar ist oder nicht, in vielen Fällen nicht eindeutig beantworten können (siehe auch Rdn 954). Dennoch führt dies nach Auffassung des BGH nicht zur Unklarheit einer AGB-Kla...