Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
Rz. 2251
Nach der bisherigen GVO war ein Verbot, eine Zweitmarke zu vertreiben nicht von der GVO freigestellt und damit grundsätzlich kartellrechtlich problematisch. In der neuen GVO wird diese Frage offengelassen.
Rz. 2252
Im Leitfaden der Kommission ist hierzu Folgendes ausgeführt:
Zitat
5. Was ändert sich für Kfz-Händler, die konkurrierende Marken vertreiben ("Mehrmarkenhändler")?
Die alten Regeln trugen wenig zur Förderung des Mehrmarkenhandels bei. Dieser ist weiterhin von der Größe der Vertriebsunternehmen und ihrem Standort abhängig, sodass der Mehrmarkenhandel vor allem in entlegenen Gebieten und innerhalb großer Vertriebsgruppen mit Nachfragemacht erfolgt.
Außerdem reagierten die Kfz-Hersteller auf die Gefahren, die ein verbreiteter Mehrmarkenhandel für die Markenidentität und das Firmenimage bergen kann, indem sie von den Händlern höhere Investitionen (z.B. in die Trennung der Marken und die Präsentation) verlangten. Zudem gingen sie dazu über, sich in geringerem Umfang an den Investitionskosten der Händler zu beteiligen. Nach den bisherigen Regeln mussten die Kfz-Hersteller (die in den Genuss der Gruppenfreistellung kommen wollten) ihren Händlern erlauben, die Marken von mindestens zwei konkurrierenden Herstellern in einem Ausstellungsraum zu verkaufen.
Die oben beschriebenen Entwicklungen führten zu einem allgemeinen Anstieg der Vertriebskosten um schätzungsweise 20 % zum Nachteil der Kfz-Händler und der Verbraucher.
Die neuen Regeln verschaffen den Kfz-Herstellern mehr Spielraum bei der Organisation ihrer Netze und bieten ihnen insbesondere die Möglichkeit, für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Markenzwang und Mehrmarkenhandel zu sorgen.
Die Kommission hat einige Schutzmechanismen vorgesehen, um den Vertrieb kleinerer Marken zu gewährleisten:
Erstens fallen Hersteller, die Markenzwang ausüben, nur dann unter die Gruppenfreistellung, wenn ihr Anteil auf dem nationalen Markt höchstens 30 % beträgt.
Zweitens gilt die Gruppenfreistellungsverordnung nicht für Hersteller, die länger als fünf Jahre Markenzwang ausüben. Die Händler müssen die Möglichkeit haben, diese Bindung nach fünf Jahren zu beenden.
Drittens fallen Vereinbarungen mit Markenzwang, die speziell darauf ausgerichtet sind, neue Marktteilnehmer oder bislang im Mehrmarkenhandel vertriebene kleinere Marken auszuschließen, nicht unter die Gruppenfreistellung.
Viertens können die Wettbewerbsbehörden einzelnen Kfz-Herstellern den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung entziehen, wenn die weit verbreitete Anwendung von Markenzwang dazu führt, dass konkurrierende Marken vom Markt ausgeschlossen werden.
Fünftens kann die Kommission, wenn Vereinbarungen mit Markenzwang mehr als 50 % eines Marktes abdecken, durch eine Verordnung festlegen, dass Vereinbarungen mit entsprechenden Klauseln nicht unter die Gruppenfreistellung fallen.
Rz. 2253
Die GVO soll ein sicherer Hafen sein; hierin wird nur aufgenommen, wer kartellrechtliche Spielregeln einhält und nicht zu mächtig ist.
Rz. 2254
Markenzwang, also die Bedingungen, nur eine Marke zu vertreiben, geht nur innerhalb der GVO, also wenn die Beteiligten unter 30 % Marktanteil liegen.
Rz. 2255
Darüber (über 30 %) besteht eine Gefahr für den Wettbewerb, also kein Genuss der GVO und "offene See"; das Vorgehen ist dann an Art. 101 AEUV zu überprüfen (Tendenz: kritisch).
Rz. 2256
Auch bei Marktanteilen unter 30 % darf Markenzwang jedoch nur ausgeübt werden für eine Zeitdauer von fünf Jahren. Ein Verstoß gegen die Schirm-GVO ist hier zugleich ein AGB-Verstoß.
Rz. 2257
Kurzum: Bei großer Marktmacht bedarf es des Korrektivs mehrerer Marken; bei kleinen Marktanteilen kann eine Exklusivmarke vorgegeben werden. Insgesamt ist diese Rückkehr zum Markenzwang befremdlich.
Rz. 2258
Diese Differenzierung nach Marktanteilen ist dem AGB-Recht fremd. Auch wenn in der Klausel selber eine solche Differenzierung vorgenommen wird, wäre diese nicht transparent, da gerade die Bestimmung der Marktanteile zu komplex ist, um die Rechtslage klar und eindeutig zu umschreiben. Dies spricht dafür, dass Klauseln, die vom Grundsatz der Zulässigkeit des Vertriebs einer Zweitmarke abweichen, generell gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung verstoßen. Denn das Vertragshändlerrecht schließt den Vertrieb unterschiedlicher Marken nicht aus.
Rz. 2259
Damit verstößt das formularmäßige Verbot, eine Zweitmarke zu vertreiben, gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB.