Verfahrensgang

AG Aichach (Urteil vom 15.05.2007; Aktenzeichen 1 C 7/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Amtsgerichts Aichach vom 15. 5. 2007 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe 1.500,00 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.5.2005 zu bezahlen.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 37,20 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.5.2005 zu bezahlen.

IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 144,59 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. 1. 2006 zu bezahlen.

V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

VI. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin ¼, die Beklagte _.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe geleistet wird.

 

Tatbestand

Die Klägerin beantragt mit der Berufung:

Das Endurteil des Amtsgerichts Aichach vom 15. 5. 2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 2.000,00 EUR zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.500,00 EUR seit dem 14. 5. 2005 und aus weiteren 500,00 EUR ab Rechtshängigkeit an die Klägerin zu bezahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, 65,10 EUR zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. 5. 2005 hieraus an die Klägerin zu bezahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, 144,59 EUR zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit an die Klägerin zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Das Landgericht hat den Zeugen Dr. W. einvernommen und den Sachverständigen Dr. H., der bei der Zeugeneinvernahme anwesend war, zur Erörterung seines Gutachtens angehört.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) der Klägerin ist begründet.

Die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen führen nach Ansicht des Berufungsgerichts zu einer von der angefochtenen Entscheidung abweichenden Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Klage hat vollen Erfolg.

I.

Die Kammer hatte insofern Zweifel an der Richtigkeit der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen, als das Amtsgericht sich durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. H. gehindert sah, die Überzeugung vom Vorliegen der klägerseits behaupteten Verletzungen und der Unfallursächlichkeit für diese zu gewinnen. Dies war insofern unzutreffend, als die Ausführungen des Gutachters Dr. H. letztlich für die Entscheidung unerheblich waren, jedenfalls aber wäre das Amtsgericht durch dessen Gutachten nicht gehindert gewesen, aufgrund der Angaben der Klägerin und des Zeugen Dr. W. die volle Überzeugung vom Vorliegen der klägerseits behaupteten Verletzungen zu gewinnen . Dieser unterstellt nämlich in seinem Gutachten, es gäbe gewisse Untergrenzen für die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung, unterhalb derer Halswirbelsäulenverletzungen beim Fahrer eines Fahrzeugs, auf das aufgefahren wird, nicht auftreten könnten, was jedoch nicht zutrifft.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2003, 1116 ff), der sich das Landgericht voll und ganz anschließt, gibt es keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse zu der Frage, ob unter einem bestimmten Grenzwert der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung beim Auffahrunfall das Entstehen einer HWS-Distorsion hierdurch auszuschließen ist. Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse zu der Frage, ob und in welcher Weise sich Umstände wie die Sitzposition und die konkrete Stellung des Kopfes bzw. des Halses zum Unfallzeitpunkt auswirken. Deswegen verbieten sich auch schematische Annahmen zur sog. "Harmlosigkeitsgrenze", unter welcher die Kausalität des Unfalls für HWS-Beschwerden auszuschließen sei. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. H. basiert aber letztlich auf der Anwendung solcher schematischer Annahmen, da die Quintessenz dieses Gutachtens darin liegt, darzulegen wie hoch die durch den Anstoß verursachte Geschwindigkeitsänderung war, und dass die Belastung der Klägerin auf einem Niveau gelegen habe, bei dem eine Distorsion der Halswirbelsäule nicht nachvollziehbar sei. Er verwendet also eine solche Harmlosigkeitsgrenze, was nach der zutreffenden Rechtsprechung des BGH nicht zulässig ist. Ansonsten weist der Sachverständige in dem Gutachten lediglich auf seines Erachtens bestehende Widersprüche in den vorhandenen Arztberichten und Attesten hin. Diese Auseinandersetzung und die Beantwortung der Frage, ob diese Widersprüche dazu führen, dass den Angaben der Klägerin und/oder der behandelnden Ärzte kein Glauben zu schenken is...

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