Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Prüfungsumfang der Ermittlungsrichters, wenn gem. § 73 SGB X die Anordnung verlangt wird, dass die AOK und Agentur für Arbeit/ARGE Auskünfte über Sozialdaten des Beschuldigten zu erteilen hat
Verfahrensgang
AG Aurich (Entscheidung vom 20.01.2011; Aktenzeichen 6 Gs 1539/10) |
Tenor
I.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 20.01.2011 (Az: 6 Gs 1539/10) wird als derzeit unbegründet verworfen.
II.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den aus ihrer Sicht Beschuldigten wegen des Verdachts der Unterhaltspflichtverletzung. Die Ermittlungen gründen sich im Wesentlichen auf den Angaben der Anzeigeerstatterin und Kindesmutter, wonach der Beschuldigte trotz eines entsprechenden Beschlusses durch das Amtsgericht Aurich - Familienrichter - seiner Verpflichtung nicht nachkommt, für den Zeitraum ab Februar 2010 Unterhalt für seine beiden minderjährigen Kinder zu zahlen. In diesem, bei der Ermittlungsakte befindlichen Beschluss des Familiengerichts wird zur Leistungsfähigkeit des Beschuldigten ausgeführt, dass dieser sich als leistungsfähig behandeln lassen muss, da er seine Leistungs unfähigkeit nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt hat. Der Beschuldigte hat sich im Ermittlungsverfahren bislang dahingehend eingelassen, zunächst einige Zahlungen geleistet, sodann jedoch "in die Pleite gerutscht" zu sein und die Eidesstattliche Versicherung, deren Protokoll sich ebenfalls in der Ermittlungsakte befindet, abgegeben zu haben.
Die Staatsanwaltschaft Aurich beantragte nunmehr unter Bejahung des Anfangsverdachts einer Unterhaltspflichtverletzung beim Amtsgericht Aurich - Ermittlungsrichter - gem. § 73 SGB X die Anordnung, dass die AOK und Agentur für Arbeit/ARGE Auskünfte über Sozialdaten des Beschuldigten zu erteilen haben. Das Amtsgericht Aurich - Ermittlungsrichter - lehnte den entsprechenden Antrag wegen fehlenden Anfangsverdachts ab. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft wiederum Beschwerde ein.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch in der Sache derzeit unbegründet.
Das Amtsgericht Aurich - Ermittlungsrichter - hat es mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht abgelehnt, die Offenbarung bestimmter personenbezogener Daten des Beschuldigten anzuordnen. Das Amtsgericht war nicht verpflichtet, dem auf § 162 StPO beruhenden Ersuchen der Staatsanwaltschaft auf Vornahme einer diesbezüglichen ermittlungsrichterlichen Anordnung im Sinne des § 73 SGB X zu entsprechen.
1.
Zwar hat der Ermittlungsrichter gem. § 162 Abs. 2 StPO grundsätzlich nur zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach den Umständen des Einzelfalles zulässig ist. Gegenstand der richterlichen Prüfung ist also lediglich die Frage, ob es sich bei der erbetenen Untersuchungshandlung um eine gesetzlich vorgesehene strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme handelt. Demgegenüber ist das Gericht nicht befugt, die Erforderlichkeit, Zweckmäßigkeit und Angemessenheit einer beantragten Maßnahme zu überprüfen ( LG Verden, Beschluss vom 08.08.1986 - 7 Qs 207/86, StV 1986, 427 (428); Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO6, § 162 Rz. 17; Meyer/Goßner, StPO52, § 162 Rz. 14). Insoweit ist auch die in dem Antrag an das Gericht zum Ausdruck gebrachte Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass mindestens zureichend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat (Anfangsverdacht) vorliegt, für dieses zunächst einmal bindend ( Griesbaum, a.a.O., § 162 Rz. 16 m.w.N.). Andernfalls wäre die Sachherrschaft der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren eingeengt, wenn bereits vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens über solche Fragen entschieden würde, deren Beurteilung zunächst der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Entschließung nach § 170 StPO obliegt ( Griesbaum, a.a.O., § 162 Rz. 16 a.E.).
2.
Die vorgenannte Begrenzung der Prüfungskompetenz des Ermittlungsrichters gilt jedoch nicht unbeschränkt und auch nicht für jede Art ermittlungsrichterlicher Tätigkeit ( LG Verden, a.a.O., 428). Zum einen hat das Gericht immer zu prüfen, ob ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegt ( LG Verden, a.a.O., 428; Griesbaum, a.a.O., § 162 Rz. 17; Meyer/Goßner, StPO52, § 162 Rz. 14 jew. m.w.N.). Zum anderen ist das richterliche Ermessen nicht beschränkt, wenn das Ersuchen eine Handlung betrifft, deren Anordnung mit Rücksicht auf den Schutz des Beschuldigten grundsätzlich dem Richtervorbehalt unterliegt ( LG Verden, a.a.O., 428; Griesbaum, a.a.O., § 162 Rz. 19; Meyer/Goßner, StPO52, § 162 Rz. 14 jew. m.w.N.). Bei der hier beantragten Untersuchungshandlung folgt dies angesichts des in § 35 SGB I verankerten Schutzes geheimnisbedürftiger Sozialdaten explizit aus § 73 Abs. 3 SGB X.
Vor diesem Hintergrund hat der Ermittlungsrichter in jedem Einzelfall nicht nur über die besonderen Tatbestandsvoraussetzungen der beantragten Handlung - hier nach § 73 SGB X - zu befinden, sondern a...