Leitsatz (amtlich)
Das Verfahren ist nicht durch den Strafantrag bedingt, wenn die StA auch wegen Offizialdelikten ermittelt.
Normenkette
StPO § 470
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Zeugen M B wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 9. März 2011 aufgehoben, soweit die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten dem Beschwerdeführer auferlegt worden sind.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
Nach einem Verkehrsunfall vom 17. Mai 2010, durch den der Beschwerdeführer körperlich erheblich verletzt wurde und stationär behandelt werden musste, hat die Amtsanwaltschaft Ermittlungen gegen seinen Unfallgegner, den ehemaligen Angeklagten, eingeleitet. Der Beschwerdeführer hat in seinem an die Polizei gerichteten und dort am 7. Juni eingegangenen Anhörungsbogen "Strafanzeige" wegen schwerer Körperverletzung sowie aufgrund angeblich falscher Tatsachenbehauptungen gegenüber der AOK wegen uneidlicher Falschaussage und versuchten Betruges gegen ihn erstattet. Die Staatsanwaltschaft hat das ihr von der Amtsanwaltschaft vorgelegte Verfahren wegen des Verdachts von Straftaten gemäß §§ 229, 226, 153 StGB übernommen. In ihrer Abschlussverfügung hat die zuständige Staatsanwältin vermerkt, Anhaltspunkte für Delikte nach §§ 153, 226 StGB lägen nicht vor, im Übrigen sei das Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen, und den Erlass eines Strafbefehls wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil des Beschwerdeführers beantragt. In den angewandten Strafvorschriften ist § 77 StGB aufgeführt. Der Strafbefehl ist antragsgemäß am 22. Dezember 2010 vom Amtsgericht Tiergarten erlassen worden. Der ehemalige Angeklagte hat gegen ihn rechtzeitig Einspruch eingelegt. Der Amtsrichter hat Termin zur Hauptverhandlung, zu dem auch der Beschwerdeführer geladen worden ist, auf den 5. Mai 2011 anberaumt.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2011 hat der Beschwerdeführer ohne nähere Begründung gegenüber dem Amtsgericht erklärt, er "verzichte auf seine Strafanzeige" und bitte darum, ihm zu bestätigen, dass der Termin aufgehoben werde.
Die Staatsanwaltschaft hat auf eine gerichtliche Anfrage erklärt, sie nehme kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung an.
Das Amtsgericht hat das Verfahren daraufhin durch Beschluss vom 9. März 2011 wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten gemäß § 470 StPO dem Beschwerdeführer auferlegt.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er geltend macht, er habe seine Strafanzeige zurückgenommen, weil die gegnerische Versicherung Schadensersatz geleistet und insbesondere Schmerzensgeld gezahlt habe. Da er deswegen Kosten und Auslagen des Angeklagten tragen solle, nehme er seinen Verzicht auf eine Strafanzeige zurück.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Zwar ist die Erklärung des Beschwerdeführers, er widerrufe eine Rücknahme, wirkungslos. Denn sie stellt eine Prozesshandlung dar, die nicht widerrufen oder wegen eines Irrtums über ihre Folgen angefochten werden kann. Aus der Regelung des § 77d Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB ergibt sich unabhängig davon, dass die dreimonatige Strafantragsfrist abgelaufen ist, dass der Strafantrag nach seiner Rücknahme nicht erneut gestellt werden kann (Fischer, StPO, 58. Auflage, Rn. 4 zu § 77d StGB).
§ 470 StPO bestimmt indes nur, dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, wenn das Verfahren wegen Zurücknahme des Antrags, durch den es bedingt war, eingestellt wird. Nach dem Satz 2 der genannten Vorschrift können Kosten und/oder Auslagen der Staatskasse auferlegt werden, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten.
Hier ist das Verfahren aber nicht durch den Strafantrag bedingt gewesen.
§ 470 StPO ist nämlich nicht anwendbar, wenn bei Einleitung des Verfahrens Tateinheit eines Antragsdelikts mit einem Offizialdelikt bestanden hat, denn dann ist das Verfahren nicht nur durch den Strafantrag bedingt gewesen (vgl. Meyer-Goßner, 53. Auflage, Rdnr. 2 zu § 470 StPO, Degener in SK, Rdnr. 4 zu § 470 StPO; Hilger in Löwe-Rosenberg, 25. Auflage, Rdnr. 2 zu § 470 StPO).
Zwar wird für die Konstellation, dass ein als Offizialverfahren begonnener Strafprozess später nur noch wegen eines Antragsdelikts fortgeführt wird, die Auffassung vertreten, dass bei Rücknahme des Strafantrags § 470 StPO anwendbar sei, beschränkt auf die Kosten und Auslagen, die nach der Beschränkung des Verfahrensgegenstandes auf das Antragsdelikt entstanden sind (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 14. April 1964 - 1 Ss 66/64 -, GA 1964, 250). Diese Auffassung berücksichtigt aber nicht hinreichend, dass der Antragsteller über die prozessuale Situation des Verfahrens zumeist nicht informiert ist, zumal er, soweit er nicht Nebenkläger ist und sich eines Rechtsanwalts ...