Verfahrensgang

AG Berlin-Wedding (Aktenzeichen 3 C 110/16)

 

Tenor

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Klage in Höhe von 706,28 EUR für die den Zeitraum September 2015 bis Februar 2016 betreffenden Ansprüche richtet.

Im Umfang der mit der übrigen Berufung verfolgten Ansprüche in Höhe von 127,54 EUR beabsichtigt die Kammer, den Rechtsstreit auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob § 556d BGB in der Fassung des MietNovG vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 610) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

 

Tatbestand

I.

1.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, soweit die Klägerin mit ihr Zahlungsansprüche in Höhe von 706,68 EUR wegen im Zeitraum September 2015 bis Februar 2016 gemäß § 556g Abs. 1 überzahlter Miete verfolgt. Das Amtsgericht hat die darauf gerichtete Klage zutreffend abgewiesen, da die Voraussetzungen der § 556g Abs. 1, Abs. 2 BGB nicht vorliegen. Unbeschadet der Verfassungsgemäßheit der §§ 556d ff. BGB und der MietenbegrenzungsVO des Berliner Senats vom 28. April 2015 stehen der Klägerin Ansprüche nicht zu, da sie vor diesem Zeitraum entgegen § 556g Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB einen Verstoß gegen die §§ 556d und 556e BGB nicht hinreichend konkret gerügt hat.

§ 556g Abs. 2 Satz 1 BGB schließt Ansprüche, die auf einen Verstoß gegen die §§ 556d und 556e BGB gestützt sind, für Zeiträume vor Ausspruch und Zugang einer qualifizierten Rüge des Mieters aus. An einer solchen Rüge fehlte es hier, auch wenn sich die Klägerin mit Schreiben vom 19. Januar 2016 auf einen Verstoß gegen die „gesetzlichen Vorschriften zur Mietpreisbegrenzung” berufen hat.

Die in § 556g Abs. 2 Satz 2 BGB begründete Pflicht zur Darlegung konkreter Umstände verlangt, dass der Mieter die Zulässigkeit der vereinbarten Miete vor einer Auseinandersetzung mit dem Vermieter tatsächlich prüft und sich mit den preisbildenden Faktoren in seiner Rüge qualifiziert auseinander setzt (vgl. BT-Drucks. 18/3121, S. 33). Diesen Anforderungen wird das Schreiben der Klägerin vom 19. Januar 2016 nicht gerecht, da es weder die nach ihrer Auffassung zulässige Miete beziffert noch die dafür preisbildenden Faktoren – des Berliner Mietspiegels 2015 – benennt. Nichts anderes folgt aus § 20 Nr. 1 des Mietvertrages vom 20. August 2015, ausweislich dessen im Falle der vollständigen oder teilweisen Unwirksamkeit des Vertrages „die entsprechenden gesetzlichen Regelungen an deren Stelle treten”. Das sind – wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat – die §§ 556d ff. BGB mit ihrer in § 556g Abs. 2 BGB anspruchsbegründend formulierten Verpflichtung zum vorherigen Zugang einer qualifizierten Rüge. Dieser hat die Klägerin nicht genügt. Keine ihr günstigere Beurteilung folgt aus der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB, die nur anwendbar ist, wenn nach Ausschöpfung aller in Betracht kommender Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Auslegungszweifel verbleibt, da mindestens zwei unterschiedliche Auslegungen vertretbar sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 14. Juni 2017 – IV ZR 161/16, NJW-RR 2017, 992, juris Tz. 12). Auch daran fehlt es bei der in § 20 Nr. 1 des Mietvertrages getroffenen Regelung.

2.

Das Verfahren ist im Übrigen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen, da die Vorschrift des § 556d Abs. 1 BGB für die mit der Berufung weiter verfolgten und die Monate März bis September 2016 – in Höhe von insgesamt 127,54 EUR – betreffenden Ansprüche entscheidungserheblich und zur Überzeugung der Kammer mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist.

a.

Die Frage, ob § 556d Abs. 1 BGB verfassungsgemäß ist, ist für die Entscheidung über die Berufung gegen die Abweisung der von der Klägerin für den Zeitraum März bis September 2016 geltend gemachten Kondiktionsansprüche entscheidungserheblich. Würde die gesetzliche Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wäre die Kammer an einer Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu Gunsten der Klägerin gehindert, während sie der Berufung bei Annahme der Verfassungsmäßigkeit zumindest teilweise stattgeben müsste.

Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 556g Abs. 1, Abs. 2, 556d Abs. 1 BGB sind für den Zeitraum März bis September 2016 erfüllt. Die Klägerin ist den Anforderungen des § 556g Abs. 2 BGB vor dem genannten Zeitraum gerecht geworden, indem sie die vereinbarte Miethöhe mit den Anwaltsschreiben vom 24. Februar und 6. Juli 2016 hat qualifiziert rügen lassen. Wie die Berufung zu Recht rügt, ist der geltend gemachte Rückforderungsanspruch auch nicht auf die vom Amtsgericht zuerkannte Höhe beschränkt, da für die Ermittlung der gemäß § 556d Abs. 1 BGB zulässigen Miethöhe die ortsübliche Vergleichsmiete maßgeblich ist, für deren Bemessung nicht außer Betracht bleiben durfte, dass die von der Klägerin angemietete Wohnung in Bad und Küche lediglich mit einem Elektroheizkörper ausgestattet war. Da schließlich auch die auf Grundlage des § 556d Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB erlassene MietenbegrenzungsVO des Berliner Senats vom 28. April 2015 (GVBl. 2015, S. 101) trotz der g...

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