Leitsatz (amtlich)
Ein Lehrer, der einen Schüler ohne Züchtigungsabsicht zur Durchsetzung einer von diesem nicht befolgten Anweisung den Raum zu verlassen, am Arm ergreift, begeht keine vorsätzliche Körperverletzung.
Normenkette
BGB § 1634; SchulG BE §§ 62-63; StGB § 223
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 23.10.2009) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Oktober 2009 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Berlin legt der wegen vorsätzlicher Körperverletzung ( § 223 Abs. 1 StGB ) angeschuldigten Lehrerin mit der Anklageschrift vom 26. Mai 2009 zur Last, sie habe an einem nicht näher bestimmbaren Schultag in der Zeit vom 1. September 2008 bis 26. Februar 2009 den 11-jährigen Schüler J. K. derart heftig am Oberarm gepackt, um ihn aus dem Klassenzimmer zu geleiten, dass der Schüler erhebliche Schmerzen und ein Hämatom am Oberarm erlitten habe. Diese Folgen habe die Angeschuldigte billigend in Kauf genommen. Der Tat soll die Störung des Unterrichts durch J. K. und die vergebliche Aufforderung der Angeschuldigten, das Klassenzimmer zu verlassen, vorausgegangen sein.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Gegen die ihr am 9. November 2009 zugestellte Entscheidung über die Nichteröffnung richtet sich die - bei Gericht am 16. November 2009 eingegangene - sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
II.
Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte, sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin ist unbegründet. Das Amtsgericht Tiergarten hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Recht gemäß § 204 Abs. 1 StPO abgelehnt.
Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (vgl. BGHR StPO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2 m.w.N.). Die Angeschuldigte ist der ihr zur Last gelegten Tat - so das Amtsgericht zutreffend - aus rechtlichen Gründen nicht hinreichend verdächtig.
1.
Zwar ist nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Angeschuldigte den Schüler K. am Oberarm angefasst hat, hierdurch Schmerzen auftraten und ein blauer Fleck (Hämatom) entstand. K. hat in seiner polizeilichen Anhörung bekundet, dass die Angeschuldigte ihn unter anderem einmal am Oberarm gepackt habe und an dieser Stelle ein ca. 2 cm großer blauer Fleck zurückgeblieben sei. Diesen habe er seiner Mutter gezeigt (Bl. 9 ff d.A.). Frau K., die Anzeigeerstatterin, hat dies bestätigt (Bl. 13 d.A.) und in ihrer Strafanzeige behauptet, ihr Sohn habe zusätzlich Schmerzen am Oberarm erlitten (Bl. 2 d.A.). Anhaltspunkte hierfür lassen sich auch der Aussage der Zeugin W. entnehmen, wonach ihr Mitschüler K. während des Griffs an den Oberarm geäußert haben soll, dass er Schmerzen habe.
2.
Unter Berücksichtigung des gesamten Ermittlungsergebnisses - einschließlich der Situation, in der die Angeschuldigte die ihr vorgeworfene Handlung begangen haben soll - ist ihre Verurteilung gleichwohl nicht wahrscheinlich. Die Kammer hat dabei beachtet, dass die Eröffnung eines Hauptverfahrens lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung, nicht hingegen den Grad eines dringenden Tatverdachts oder gar die für eine Verurteilung notwendige richterliche Überzeugung erfordert.
a)
Es liegt schon keine körperliche Misshandlung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB vor. Eine solche ist nur zu bejahen, wenn eine andere Person übel und unangemessen behandelt wird. Erforderlich ist eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens. Die Beurteilung der Erheblichkeit richtet sich nach der Sicht eines objektiven Betrachters, nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen (oder seiner Erziehungsberechtigten), und insbesondere auch nach der Dauer und der Intensität der störenden Beeinträchtigung. Nicht mit jedem körperlichen Übergriff ist die Tatbestandsschwelle des § 223 StGB überschritten (vgl. Eser in Schönke/Schrö-der, StGB, 27. Aufl.2006, § 223, Rn. 19). Geringe Blutergüsse oder Ähnliches gelten als unerhebliche Beeinträchtigungen unterhalb der Bagatellgrenze zur Körperverletzung (vgl. Eschelbach in BeckOK StGB, Stand 10/2009, § 223, Rn. 18 und 22 m.w.N.).
§ 63 Abs. 2 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Berlin (im Folgenden: SchulG) steht dem nicht entgegen. Der Anwendungsbereich der Gesetzesnorm,...