Verfahrensgang

AG Berlin-Lichtenberg (Urteil vom 27.09.2002; Aktenzeichen 9 C 109/2002)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 27. September 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg – 9 C 109/2002 – und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt, auch hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens, dem Amtsgericht vorbehalten.

 

Gründe

Mit dem angefochtenen Teilurteil vom 27.09.2002 hat das Amtsgerichts Lichtenberg den Beklagten zur Räumung der von ihm gemieteten Wohnung in der … … in … Berlin verurteilt und den Widerklageantrag zu 1. des Beklagten, mit welchem er die Beseitigung der Geruchsbelästigung in seiner Wohnung geltend gemacht hatte, abgewiesen. Hiergegen und insbesondere gegen die Zurückweisung seines Vorbringens in der Klageerwiderung als verspätet gemäß § 296 ZPO wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.

Die statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.

Sie führt auch zur Aufhebung des Teilurteils vom 27. September 2002 und des zugrundeliegenden Verfahrens und zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Denn das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an einem wesentlichen Mangel und aufgrund dieses Mangels ist eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig. Die fehlerhafte Anwendung von § 296 ZPO stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar (Baumbach/Lauterbach-Albers, ZPO, 61. A., 2003, § 538 Rn 6 m.w.N.).

Das Amtsgericht hat unter zwei Gesichtspunkten in unzulässiger Weise das Vorbringen des Beklagten in der Klageerwiderung vom 30. April 2002 nach § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen.

I.

Zum einen durfte das Amtsgericht das verspätete Vorbringen des Beklagten nicht durch Teilurteil zurückweisen und der Klage insoweit stattgeben, weil der Rechtsstreit als ganzes vor dem Amtsgericht noch nicht erledigt worden ist, sondern noch über den Widerklageantrag zu 2. (Auszahlung der Guthabenbeträge aus den Betriebskostenabrechnungen 1999, 2000, 2001 und 2002) entschieden werden muss.

Nach der Rechtsprechung des BGH (in NJW 1980, 2355; ferner in NJW 1995, 1223, 1224; ebenso OLG Düsseldorf, NJW 1993, 2543), der sich die Kammer ausdrücklich anschließt, ist Voraussetzung der Zurückweisung nach § 296 ZPO die Verzögerung des gesamten Rechtsstreits. Der BGH (in NJW 1980, 2355, 2356) führt zutreffend aus, solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im ganzen entschieden sei und das Urteil nicht im ganzen Rechtsfrieden stiften könne, verzögere eine Verspätung erheblichen Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits nicht. Nur wenn der ganze Rechtsstreit bei Außerachtlassen des verspäteten Vorbringens beendet werden könne, erscheine es gerechtfertigt, dieses nicht mehr zuzulassen.

In einem Rechtsstreit, in dem Klage und Widerklage erhoben sind, dürfen daher verspätete Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht – wie es das Amtsgericht getan hat – durch ein allein die Klage oder Widerklage betreffendes Teilurteil zurückgewiesen werden (vgl. Müko-Prütting, ZPO, 2. A., 2000, § 296 Rn 107).

II.

Die Unzulässigkeit der Zurückweisung ergibt sich ferner daraus, dass das verspätete Vorbringen in der Klageerwiderung, betreffend die Wirksamkeit der Kündigung, sich nicht nur auf den Klageabweisungsantrag bezog, sondern indirekt auch Auswirkungen auf den Widerklageantrag zu 1. hatte. Das Amtsgericht hat dementsprechend die Widerklage zu 1. mit der Begründung abgewiesen, das Mietverhältnis der Parteien sei beendet. Diese Feststellung konnte das Amtsgericht nur treffen, weil es das Vorbringen des Beklagten im Schriftsatz vom 30.04.2002 als verspätet gewertet hat. Das Amtsgericht hätte jedoch zumindest im Rahmen der Widerklage dieses Vorbringen berücksichtigen müssen. Denn die Zurückweisungsvorschriften sind nur auf selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel anwendbar, zu denen die Widerklage nicht gehört (BGH MDR 1985.667.668 zu § 528 ZPO a.F.).

Etwas anderes gilt möglicherweise dann, wenn die Widerklage rechtsmissbräuchlich ist, wenn sie also gerade dem Zweck dienen soll, die Regelung des § 296 ZPO zu umgehen (vgl. BGH NJW 1986, 2257, 2258; Baumbach/Lauterbach a.a.O., § 296 Rn 51). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar könnte für einen Rechtsmissbrauch bezüglich des Widerklageantrages zu 1. die Tatsache sprechen, dass die Gaststätte, von der die Geruchsbelästigung ausgehen sollte, ausweislich des aus Bl. 129 d.A. ersichtlichen Schreibens ihres Geschäftsführers bereits am 7. April 2002 und also vor Anhängigkeit der Widerklage geschlossen werden sollte. Dies kann jedoch dahinstehen, weil jedenfalls hinsichtlich des Widerklageantrags zu 2. – zumindest betreffend die Betriebskostenabrechnungen 1999 und 2000 – keine Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit ersichtlich sind.

Die Kammer verw...

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